Am Anfang steht der fertige Song

The Rapture verwandeln die düsteren Zeiten auf der Stelle in knallpopbunten Punk

Die New Yorker Band The ­Rap­ture hat 2002 mit ihrem Gassenhauer »House of Jealous Lovers« ein neues Kapitelchen in der Geschichte des Discopunk eingeleitet: Die flirrende Robert-Smith-Stimme Luke Jenners, die sich aus einer bis dato kaum gekannten Mixtur aus britischem Postpunk, No Wave, Chicago House und Techno erhob und ungezählte Male »House Of Jealous Lovers« spie. The Rapture kombinierten Wut und Wonne, Punk und Disco so beseelt miteinander, dass man wirklich nicht mehr sagen konnte, ob sich die Musik aus Rock oder aus Dance heraus entwickelt ­hat. Ihr zweites Album »Pieces of the people we love« ist nun noch überdrehter, noch furchtloser. Und also ziemlich sen­sationell.

Das Album klingt so, als hätten The Rapture alle treiben­den Sounds der letzten Jahrzehnte zu einer »chance of a lifetime« verschmolzen: den Spirit von Grunge, die Schlachtrufe der ­Raves, Primal Screams Crossover und dunkles 80s-Revival explodieren, als würde ein Kind mit dem Strohhalm an einer Brauselimonade nuckeln, in die das zügellos-neoliberale Amerika der Gegenwart Ecstasy reingeschmuggelt hat. Smashiger Pop-Funk, der vom Dunklen weiß. Eine zart­verschlungene Mischung aus deso­later Party-Überdrehtheit, Erschöpfungsschock, stummer Euphorie und dumpfer Zuversicht. Songs, die zu sagen anheben: Die nächste Depression, die wird so düster, die mach ich einfach mal nicht mit – die muss auf der Stelle in etwas Angenehmeres verwandelt werden.

Kinder aus Lower-Middleclass-Scheidungsfamilien

Man darf bei all der ­fiebrigen Euphorie des Bandsounds – der auf einer Rhythmus-Arbeit beruht, die gekonnt zwischen Laid-Back-Feeling und schlagkräftigem Rockhandwerk variiert – natürlich nicht vergessen: The Rapture sind die Kinder aus den amerikanischen Lower-Middleclass-Scheidungsfamilien; auf den Schulhöfen der Vororte gemobbte School-Drop-Outs. Und das passt dann ganz gut zum sozialen Background von Rave-Bands der frühen 90er Jahre wie Happy Mondays und Primal Scream.

Ende der 90er gründeten Sänger/Gitarrist Luke Jenner und Schlagzeuger Vito Rocco­forte, zwei Schulfreunde aus San Diego, The Rapture. Sie zogen nach San Francisco, dann nach Seattle, schließlich nach New York. Zwischendurch tourten sie mit wechselnden Bassisten und Keyboardern durch die Staaten und lernten dabei die ­Cousins Mattie Safer und Gabe Andruzzi aus Washington D.C. kennen. Diese gingen ebenfalls nach New York und wurden in kurzer Zeit zu festen Mitgliedern der Band: Mattie als Bassist und Zweitsänger, Gabe als Saxofonist und Electronic-Allroundtyp.

In New York trafen sie auf die »DFA«-Labelmacher James Murphy und Tim Goldsworthy. Ein frisches Produzententeam, das ge­rade herausfinden wollte, was passiert, wenn man »echte« Instrumente mit den neuesten Dance-Klicks mixt. Es ging ihnen darum, Dancemusik wirklich ernst zu nehmen – nicht nur blöd zu ironisieren – und mit Leuten aus Punkbands zusammenzuarbeiten.

»Willst Du auch ein Stück?«

Als ich am verabredeten Interviewort eintreffe, machen sich Vito und Mattie gerade über eine Riesenpizza her. »Willst Du auch ein Stück?«, fragt Vito gutge­launt, während Mattie schon wieder mit seinen Marlboros lieb­äu­gelt. Bleich und schwarzgekleidet geben sie einen schönen Kontrast ab zum flirrend-heißen Sommertag.

StadtRevue: Eure Clubhits verweisen gerne auf etwas Makabres. Euer neuer Song »Devil« zum ­Beispiel sendet beinahe sakral Verwünschungen aus...

Mattie: Es ist uns sehr wichtig, in den Songs das Glück mit dem Unglück zu verbinden.

Vito: Unser Band-Motto lautet: Wenn man weinen möchte, manch­mal, sollte man stattdessen lachen.
Mattie: Wir haben einen ziemlichen Galgenhumor.

StadtRevue: Wie wichtig sind innovative Dance-Sounds für euch?

Vito: Wir entwickeln alles aus dem Songwriting heraus. Erst später kommen die Discosounds dazu. Aber am Anfang steht der fertige Song. (lacht)

StadtRevue: Es gibt Kritiker, die euch zugute halten, dass ihr nicht authentisch seid. Angeblich ­benutzt ihr die Musikzitate nur als Ort, wo ihr zu euch selbst kommt; ihr spielt demnach nur mit den expressiven Rockmomenten, behandelt diese aber als fremd. Auch, weil ihr demnach nicht auf musikalische ­Ideale aus eurer Kindheit zurückgreift. Ich hingegen finde es gerade toll, wie viel echter Schmerz bei euch rüberkommt, trotz den vielen Musikzitaten.

Vito: Es ist uns wichtig, dass man hört: Wir sind einfach die, die wir sind. Wir empfinden unsere Musik nicht einmal als Zitatmusik! Wir sind nur nicht auf einen musikalischen Kosmos beschränkt. Denn wir haben harte Dinge erlebt, und das soll man unbedingt auch hören. Weil wir das sind.

Mattie: Natürlich greifen wir auf die Ideale aus unserer Kindheit zurück. Ich bin doch kein Computer, der seinen Bass und seine Verweise abspult. Meine Art zu spielen hat immer direkt mit meiner Lebenssituation zu tun. Das steht ja wohl außer Frage.

Tonträger: The Rapture, »Pieces of the people we love« ist bereits auf Universal Music erschienen.

Konzert: Mi 4.10., Bürgerhaus Stoll­werck, 21 Uhr