Der ermüdende Aufbruch

Ein Jahr nach der für sie erfolgreichen Bundestagswahl haben sich Linkspartei und WASG etabliert. Auch im Kölner Stadtrat setzt man sich mit ihren Argumenten auseinander. Was hat diese Akzeptanz für Auswirkungen auf den sozialen Protest? Felix Klopotek hat mit den Ratsmitgliedern der Linksfraktion gesprochen

 

Eine Abrechnung. Anders kann man Karl Heinz Roths umfangreiche Analyse »Erneuerung des Sozialstaats? Eine Debatte mit Fallstricken für die Formierung einer vereinigten Linkspartei in Deutschland« nicht nennen.

Roth ist Arzt und Historiker und seit vierzig Jahren Aktivist der radikalen Linken. Mit seinen Büchern »Die andere Arbeiterbewegung« und »Die Wiederkehr der Proletarität« löste er große Debatten aus. Roth ist wie viele andere Linke von dem Aufbruch der Hartz-Proteste 2004 und der Perspektive ­einer neuen Linkspartei angetan gewesen. Ein Jahr nach der Bundestagswahl hat er Bilanz gezogen: »Bei der letzten Bundestagswahl haben 4,2 Millionen Wählerinnen und Wähler dem Bündnis aus Linkspartei/PDS und Wahl-Alternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) ihre Stimme gegeben und 54 seiner Kandidatinnen und Kandidaten in das oberste parlamentarische Gremium geschickt. Seine Exponenten und Funktionäre haben daraus die Ermächtigung abgeleitet, das Wahlbündnis so zügig wie möglich in eine den Normen der repräsentati­ven Demokratie unterworfene politische Partei umzuwandeln.« Für eine linke Strategie, die auf eine sozialistische Transformation abzielt, ist, laut Roth, die anstehende Vereinigung von WASG und Linkspartei nicht tauglich.

Aushängeschild der Kölner Linkspartei

Jörg Detjen zuckt mit den Schultern: »Das Papier kenne ich nicht. Das spielt keine Rolle in den aktuellen Diskussionen der Partei.« Detjen ist das Aushängeschild der Kölner Linkspartei. Seit 1999 sitzt er im Stadtrat, seine Arbeit wird auch von den bürgerlichen Parteien als kompetent geschätzt.

Roths Zwischenruf muss für jemanden wie Detjen wie aus einer anderen, weit entfern­ten Welt kommen. Für die Kommunalpolitik scheint die Perspektive einer radikalen Kritik von links nicht zu gelten. Es gibt im Kölner Rat keine feste Koalition, doch SPD und Grüne sind mit der Linkspartei in der Mehrheit. Detjen will das nutzen: »Durch die wechselnden Mehrheiten im Rat hat sich eine Menge verändert. Köln ist wohl die einzige Stadt im Westen, in der die Linkspartei in derart viele Entscheidungsprozesse einbezogen ist. Das wird in linken Kreisen weit weniger beachtet als in bürgerlichen.«

Detjen ist mit der wachsenden Akzeptanz seiner Fraktion zufrieden, die Linkspartei ist auf dem richtigen Weg. Dem Weg der Vereinnahmung? »Nein, wir beteiligen uns an Sachentscheidungen. Bei jeder müssen wir genau abwägen, ob wir mit SPD und Grünen gemeinsame Sache machen. Wir hatten im Frühjahr eine heftige Debatte, ob wir den neuen Stadtdirektor mitwählen oder nicht. Claus Ludwig sieht das anders, aber die Mehrheit in der Fraktion kam zu der Ansicht: Wenn man eine Verbesserung will, dann kann man das machen. Mit Stadtdirektor Guido Kahlen gibt es zum Beispiel einen anderen Ton in der Flüchtlingspolitik. Jeder Mensch, der hier nicht abgeschoben wird, bedeutet schon eine Verbesserung.«

»In vielen Punkten unterschiedliche Ansich­ten«

Claus Ludwig, Mitglied der WASG, sitzt für das Wahlbündnis Gemeinsam gegen Sozialraub (GgS) im Rat, letzten Dezember schloss er sich mit den drei Ratsmitgliedern der Linkspartei zu einer Fraktion zusammen. Zusammen repräsentieren Linkspartei und GgS 12.622 Kölner Wähler (3,6 Prozent Stimmenanteil). Auf die Fraktionsarbeit angesprochen, räumt Ludwig unumwunden ein: »Wir haben in vielen Punkten unterschiedliche Ansich­ten.« Das Papier von Karl Heinz Roth kennt er im Gegensatz zu Detjen und gibt ihm Recht: »Die Linkspartei denkt nicht in den Kategorien von Selbstorganisation und Selbstbetätigung der Menschen. Es geht darum, wie man Druck erzeugt innerhalb dieses parlamen­tarischen Systems: Wie kann man Rot-Grün überzeugen, bestimmte Kurskorrektu­ren vorzunehmen?

Ludwig spricht für eine Strömung in der WASG, die mittlerweile in der Minderheit ist und am spektakulärsten noch durch Lucy Redler repräsentiert wird. Jene Trotzkistin, die sich in Berlin gegen den Fusionsprozess von WASG und Linkspartei stellt. »Wir wollen keine Regierungsverantwortung übernehmen und auch nicht mitgestalten, sondern das artikulieren, was notwendig ist«, bestimmt Ludwig. »Das richtet sich gegen eine Politik des kleineren Übels. Verbesserungen der sozialen Lage gehen nicht von Rot-Grün und auch nicht von der Linkspartei aus, sondern passieren, wenn die Betroffenen auf die Barrikaden gehen.«

Ein Jahr danach

Ein Jahr nach der Bundestagswahl und dem euphorisch stimmenden Ergebnis der Linkspartei (bundesweit knapp neun Prozent, in Köln erzielte sie über fünf Prozent), haben sich die Fronten geklärt. Auf der einen Seite die Realos, auf der anderen die Fundis. Seit dem Ende des Sozialistengesetztes, seit 1890, ist das ein durchgängiges Merkmal jeder linken Partei in Deutschland. Ist das nicht unendlich ermüdend? Linke-Ratsmitglied Michael Kellner will sich darauf nicht einlassen: »Wir möchten an dem gemessen werden, was wir machen, nicht an unerreichbaren Idealen oder an vermeintlichen historischen Vorbildern. Wir können nicht alles, was wir wollen, in Reinform umsetzen. Wichtig ist aber, dass bei allen Entscheidungen, die wir mittragen, etwas herrauskommt, das unseren Vorstellungen nahe kommt.« Dass in Köln bürgerlichen Ratspolitiker die Zauberwörter des Neoliberalismus »Privatisierung« und »Public Private Partnership« nicht mehr so ohne weiteres über die Lippen kommen, hält Kellner für einen Erfolg seiner Arbeit.

Fokussiert auf soziale und wirtschaftliche Themen

Kommt einem das bekannt vor? Irgend­wie schon, die Grünen haben vor gar nicht so langer Zeit genau so gesprochen. Det­jen und Kellner sind sich aber sicher, nicht den grünen Weg zu gehen. Die Linkspartei sei auf soziale und wirtschaftliche Themen fokussiert, da sei von den Grünen gar nichts geleistet worden. Außerdem kämen durch den Fusionsprozess mit der WASG viele aus dem gewerkschaftlichen Milieu hinzu, der Background sei doch ein ganz anderer als bei den bürgerlichen Grünen – eben proletarischer.

Was aber, wenn der Entfremdungsprozess von Linkspartei und WASG gegenüber ihrem Back­ground schon längst eingesetzt hat? Claus Ludwig kommt zu diesem Schluss: »Es gab Anfang des Jahres einen starken linken Kurs in der Kölner WASG, da waren Leute aus sozialistischen Gruppierungen aktiv, Leute, die durch die Anti-Hartz-Proteste politisiert wurden. Das hat sich geändert, durch massiven Ein­tritt von ehemaligen Sozialdemokraten. Die haben den Laden rasch übernommen und sind auf einen begeisterten PDS-Kurs eingeschwenkt. Die WASG ist nicht mehr auf der Straße präsent. Die behäbige Linkspartei existiert dagegen so weiter, wie sie es immer getan hat.«

»Wir möchten an dem gemessen werden, was wir machen«

Dabei stehen die Chancen für eine linke Offensive gerade außerhalb der Rathäuser und Parlamente nicht schlecht. »Noch vor ein paar Jahren konnten sich sehr viele Leute keine Alternative zu beispielsweise Privatisierungen des öffentlichen Eigentums vorstellen. Da ist mittlerweile Einiges in Bewegung gekommen«, hat Özlem Demirel, die Vierte im Bunde der Kölner Linksfraktion, beobachtet. »Ich denke schon, dass in den Köpfen vieler Leute die neoliberale Hegemonie bröckelt, das kann durch die Erfolge der Linkspartei noch verstärkt werden. Von einer Trendwende kann man aber noch nicht sprechen.«

Am Ende bleibt man ein wenig ratlos zurück. Weder können Detjen und Kellner schlüssig begründen, was an ihrer Kommunalpolitik – so kritisch sie im Rahmen der Ratsarbeit auch sein mag – eigentlich sozialistisch ist; noch kann Ludwig plausibel machen, was ein überzeugter Klassenkämpfer überhaupt im Rat verloren hat. Linke Realpolitik – ein großes Missverständnis? Ganz am Ende des Gesprächs bemerkt Detjen kokett, dass Ratsarbeit doch ziemlich stumpf mache. Und dann sagt er noch: »Die Politik der Linken führt immer Abwehrkämpfe. Das ist das Problem. Wir müssen die richtige Balance aus Angriffs- und Abwehrkämpfen finden.« Dieser Ansicht wird wohl auch Claus Ludwig zustimmen. Die Frage ist aber: Welcher Angriff und welche Abwehr? Darüber werden sich in kommenden Jahrzehnten noch zahlreiche Vereinigte Linksparteien spalten.

Den Text von Karl Heinz Roth kann man sich aus dem Internet herunterladen, Link: siehe unten