Bußgeld und Pädagogik

Auf einige Ideen sind die Schulen schon gekommen, bevor sie im neuen Schulgesetz standen. Manchmal sieht die Umsetzung jedoch anders aus als der Gesetzestext das will. Yvonne Greiner hat an der Europaschule in Köln-Zollstock Beispiele gefunden.

Wiebke und Daniel sind hier, weil sie später einmal Jura studieren wollen; Staatsanwalt und Rechtsanwältin lauten die dezidierten Berufswünsche der beiden Achtklässler. Felix sagt: »Ich besuche den Kurs, damit ich mich selbst nicht so oft streite und mich nicht provozieren lasse.« Das Thema Kommunikation und Streitschlichtung ist beliebt: Rund ein Dutzend SchülerInnen haben den Trainingskurs belegt, der zwei Halbjahre dauert und an dessen Ende ein Zertifikat und der Titel »StreitschlichterIn« steht. Der wiederum berechtigt, in der Streitschlichtungsstelle der Schule mitzuarbeiten.

»China gestern und heute«

Es ist Montagnachmittag, Viertel nach drei, an der Europaschule Köln in Zollstock – eine integrierte Gesamtschule mit allen Schulabschlüssen. In der neunten und damit letzten Stunde finden die so genannten Trainingskurse statt. Über zwanzig sind es in diesem Halbjahr, thematisch sind sie breit gefächert: Von »China gestern und heute« über »Digitale Bilderwelten« und »Veranstaltungskunde« bis zum Organisieren eines Schüler­kiosks ist einiges geboten. »Die Themen sind natürlich nicht alle gleichermaßen beliebt«, erzählt Jenny Rütten, die für die Organisation der Kurse zuständig ist. »Practical English« etwa sei nicht gerade der Renner – die Nähe zum regulären Unterricht ist offenbar zu groß.
Sie haben zwar die Wahl, aber einen der angebotenen Kurse müssen alle SchülerInnen der Jahrgangsstufen acht bis zehn belegen. Die Kurse funktionieren wie Lehrgänge, nach erfolgreichem Abschluss gibt es ein Zertifikat mit einer differenzierten Bewertung. Im »EuropaSchulpass« sammeln die SchülerInnen die Zertifikate. »Der Pass hilft vielen unserer Schülerinnen und Schüler beim Berufseinstieg, sie können ihn bei den Bewerbungsgesprächen vorlegen«, sagt Dagmar Naegele, Schulleiterin der Europaschule. Das Ringbuch mit dem Aufdruck »EuropaSchulpass« ist mit farbigen Trennblättern versehen: Fremdsprachen und Interkulturelle Projekte, wozu auch Auslandsaufenthalte gehören, Berufsorientierung und persönliches Engagement. Die Idee zu dieser Art von Portfolio entstand hier in Zollstock bereits vor zehn Jahren, inzwischen gibt es einige Nachahmer.

Angebote statt Kopfnoten

Naegele spricht also aus Erfahrung, wenn sie sagt: »Man muss den SchülerInnen Angebote machen, das ist die beste Möglichkeit, soziale Kompetenzen zu fördern und zu bewerten.« Von den im Schulgesetz vorgesehenen »Kopfnoten« dagegen hält die Schulleiterin wenig. Mit »sehr gut«, »gut«, »befriedigend« oder »unbefriedigend« soll in Zukunft das Arbeits- und Sozialverhalten von SchülerInnen im Zeugnis benotet werden.
Zudem sieht das Gesetz eine »Stärkung der disziplinarischen Rechte« der Schulleitung vor und ermöglicht auch, dass schon 14-Jährige mit einem Bußgeld belegt werden können, wenn sie dauerhaft die Schule schwänzen. Dieser Maßnahmenkatalog wirkt nicht gerade souverän. Vielmehr liest er sich wie die Gesetz gewordene Bankrotterklärung der Päda­gogik gegenüber einer ganzen Schülergeneration. Mit den »Kopfnoten« wird zudem eine unzumutbare Zwickmühle geschaffen: Welcher Lehrer wird unter einen sowieso nur mittelmäßigen Haupschulabschluss auch noch die Bemerkung »Arbeits- und Sozialverhalten unbefriedigend« schreiben? Das wäre so, als würde man ein Antragsformular für Arbeits­losenhilfe ans Zeugnis heften.

»Grober Unfug«

Kritik am Schulgesetz gibt es zuhauf. Die, die es konkret ­angeht – Lehrer, Schüler, Eltern – sind mindestens skeptisch, manche sind regelrecht aufgebracht: Pädagogen lehnen die Bestimmung ab, dass Kinder nicht mehr die wohnortnahe Grundschule besuchen müssen; das freie Wahlrecht der Eltern würde zu einer Gettho­isierung von Schulen in sozialen Brenn­punkten führen. Der Verband Bildung und Er­ziehung beklagt, das Gymnasium werde mit dem geplanten Erwerb des Abiturs in zwölf Jahren »völlig von den anderen Schulformen abgekoppelt«, ein Wechsel ans Gymnasium sei damit erschwert. Dabei will das Gesetz doch ausdrücklich die Durchlässigkeit der Schulformen erhöhen.
Dass bereits bei Vierjährigen überprüft wird, ob sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, um in näherer Zukunft eingeschult zu werden, finden alle gut. Schlecht allerdings, dass unklar bleibt, wie und wo die Kinder ihre eventuellen Defizite beheben können. Die ErzieherInnen in den Kindertagesstätten jedenfalls winken bereits ab – sie seien dafür gar nicht ausgebildet. Die Schülervertretungen lehnen das Gesetz rundweg ab. Hinter vorgehaltener Hand wird das Gesetz von Lehrern auch schon mal als »grober Unfug« bezeichnet. Doch während das Schulvolk murrt, fährt die zuständige Ministerin Barbara Sommer (CDU) zum Schulbeginn durch’s Land und schwärmt: »Ich bin so voll dieses Gesetzes.«

Wild denken

In der Europaschule indes geht der Alltag wie an allen Schulen weiter. Und zum Schulleben gehört hier seit fünf Jahren ganz selbstverständlich ein hausinternes Qualitätsmanagement – auch eine Leitidee, die das Gesetz jetzt festschreibt. Doch während dieses die »regelmäßige Überprüfung durch unabhängige Experten« der Schulaufsicht vorsieht, ist man in Zollstock andere Wege gegangen. Mit ELSA (Eltern-Lehrer-Schüler-Angestellten-Arbeitskreis) habe man ein Gremium geschaffen, das »wild denken« und kreativ sein kann, erläutert Jürgen Milchert, didaktischer Leiter an der Europaschule. ELSA tagt regelmäßig zu aktuellen Themen und spricht dann Empfehlungen aus – unlängst etwa die, mehr »authentische Kontakte« zu Betrieben herzustellen, um die Berufsorientierung der Schüler in der Sekundarstufe I zu erleichtern.
Genauso wichtig wie ELSA ist das, was Milchert den »hausinternen Lehrplan« nennt: Für alle Fächer werden hier nicht nur inhaltliche, sondern auch methodische Fest­legungen getroffen. In Methoden-Werkstätten bilden sich die LehrerInnen seit Jahren kontinuierlich und selbst organisiert weiter. Damit soll die Qualität des Unterrichts regelmäßig überprüft und gesichert werden.

Andere Richtung

Auch gegen eine Evaluation, wie das Gesetz sie vorsieht, hat Milchert nichts: ­»Davon kann man profitieren, wenn man die Detailergebnisse in den Schulen selbst verwertet.« Daraus ein öffentliches Ranking ­zwischen einzelnen Schulen und den ver­schiedenen Schulformen abzuleiten, sei jedoch gefährlich. Das betonen viele KritikerInnen, die den im Gesetz verankerten Gedanken des Wettbewerbs nicht nur für kontraproduktiv, sondern auch für die völlig falsche Reaktion auf die PISA-Ergebnisse halten. Auf dem von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veranstalteten Gesamtschultag 2005 stellte selbst die baden-württem­bergische Handwerkskammer die Dreigliedrigkeit des Schulsystems zugunsten eines integrativeren Konzepts in Frage. Sie schlug ein Modell vor, das zumindest neun gemeinsame Schuljahre vorsieht. Bemerkenswert: Der Vorschlag kommt aus einem Bundesland, das nur die strikte Unterteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium kennt – integrative Gesamtschulen wie in NRW gibt es dort keine einzige.
»Mir gefällt der Geist nicht, der durch das Gesetz weht«, sagt auch Dagmar Naegele. In ihrer Funktion als Landessprecherin der GesamtschulleiterInnen in NRW hat sie an den parlamentarischen Anhörungen zum Schulgesetz teilgenommen. Mit dem Gesetz werde die Dreigliedrigkeit zementiert, »der Zug aber«, sagt sie, »fährt in eine ganz andere Richtung.«


Das Interview mit Daniel Bär von der Kölner BezirksschülerInnenvertretung und weiterte Informationen zum neuen Schulgesetz stehen in der neuen StadtRevue - seit 26.9. im Handel!