Kuchen für die Welt

Wehmütige Dekadenz oder dekadente Wehmut? Sofia Coppola findet in »Marie Antoinette« keine Haltung zur umstrittenen Königin

Lost in Translation – wieder einmal. Auch wenn an allen europäischen Höfen fließend Französisch gesprochen wird, reist die österreichische Prinzessin Marie Antoinette (Kirsten Dunst) zu ihrer Hochzeit doch in eine andere Welt. Eher belustigt lässt sich die Fünfzehnjährige an der Landesgrenze komplett neu einkleiden, um ihren Übertritt in die französische Königsfamilie auch symbolisch zu vollziehen, doch schon am nächsten Morgen reibt sie sich ungläubig die Augen, als der halbe Hofstaat ihr bei der Morgentoilette assistieren will. So kühl wie das höfische Zeremoniell vollzieht sich zunächst auch die auf dem Schachbrett politischer Allianzen gefügte Ehe des königlichen Teenagers: Vom ebenfalls noch min­derjährigen Thronfolger Ludwig (Jason Schwartzman) im Bett links liegen gelassen, tröstet sie sich bald mit einem Leben in luxuriöser Ausschweifung über die alltägliche Leere hinweg.

»Marie Antoinette« ist Sofia Coppolas dritter Film, und allmählich wird die Verlorenheit in einer fremden Zeichenwelt zu ihrer Obsession. Schon in ihrem Debüt »The Virgin Suicides« inszenierte sie die Gefühlswelt weiblicher Teenager als Buch mit sieben Siegeln (zumindest für ihre gleichaltrigen Verehrer), in »Lost in Translation« hielt sie einem alternden Schauspieler die »lächerlichen« Rituale der japanischen Kultur als Spiegelbild seiner Midlife-Crisis vor.

Und nun also Marie Antoinette, die gerade von ihrem Ruf als Totengräberin des französischen Volks freigesprochen und von Coppola als große Unbekümmerte porträtiert wird. Sie ist die einzige, die am Hof ihre Gefühle zeigt, und merkt bald, dass sich auch in einem goldenen Käfig wie Versailles Jungmädchen-Träume erfüllen können. Während sich ihr Gemahl den ehelichen Pflichten auf der Jagd entzieht, lässt sie turmhohes Gebäck auffahren und den Champagner strömen, kleidet sich in rosa Rüschen und verwandelt das französische Königshaus in einer frühe Orgie des Pop.

Den Schlüssel zu dieser nicht nur historisch weit entrückten Welt findet Sofia Coppola in den New-Romantic-Hits der 1980er Jahre. Vor allem Songs von Adam and the Ants und Bow Wow Wow hat Coppolas ständiger Musikberater Brian Reitzell diesmal für sie ausgegraben und der Modernisierung ihres Stoffs den Ruch des schon wieder Vergangenen mitgegeben. Da mögen Bow Wow Wow noch so trotzig »I Want Candy« singen – in Coppolas Perspektive ist ihr musikalischer Eskapismus nur das Revival einer Sehnsucht, die ihre reinste Form am Vorabend der französischen Revolution gefunden hat. Die letzten Lebensjahre Marie Antoinettes stilisiert sie zu einer melancholischen Feier der verschwenderischen Lebenskunst, die, egal zu welcher Zeit, die Realität so lange ausblendet, bis diese als strafende Gerichtsbarkeit ans Tor pocht.

Für eine gute Stunde schaut man diesem opulenten Treiben mit freundlichem Staunen zu, auch weil sich Sofia Coppola beinahe buchstabengetreu an Antonia Frasers literari­sche Rehabilitation der bei den Franzosen immer noch verhassten Königin hält. Über den beschwingten Kamerafahrten, dem üppigen Dekor und dem musikalisch zusammengefassten Reigen müßiger Nachmittage vergisst man leicht, dass Marie Antoinette das Faustpfand eines politischen Handels war, und ihr vor allem eines abverlangt wurde: einen
Erben zu gebären. Erst als ihr älterer Bruder den König hilfreich zur Seite nimmt und die fruchtlose Zeit ihre Ehe vorüber geht, ist ihre Mission erfüllt und ihr Stand bei Hof gesichert. Im Grunde sind die nicht enden wollenden Mädchenjahre der Königin eine Studie in unter Tand und Tüll begrabenem Unglück – ein Unglück allerdings, das Sofia Coppola nicht sonderlich zu irritieren scheint.

Dass aus »Marie Antoinette« gegen alle Erwartungen ein eher uninspirierter Film geworden ist, liegt nicht an der illustren Besetzungsliste, nicht an der Musikauswahl und sicher nicht an Frasers Vorlage. Sondern einzig und allein an einer seltsam unentschiedenen Regie. Sei es das Schicksal ihrer Protagonistin, das Leben bei Hofe oder die Auswüchse der Revolution: Coppola kann sich zu keiner Haltung zu irgendetwas durchringen, ja, man versteht nicht einmal, ob sie den Untergang der von ihr wehmütig bebilderten Monarchie als Befreiung oder eher als Barbarei ansieht. Der historischen Marie Antoinette wird sie damit so wenig gerecht wie ihrer schönen Idee von der ewigen Wiederkehr des Pop.

Marie Antoinette USA 06,
R: Sofia Coppola, D: Kirsten Dunst,
Jason Schwartzman, Rip Torn, 123 Min.
Start: 2.11.