Märchenland

Die Musik von La Düsseldorf: als wäre die Landeshauptstadt eine große Modenschau

Kann man sich das vorstellen? Eine junge Indie-Band will im Proberaum nicht den Underground-Trends aus London, New York oder Berlin hinterher rennen, sondern Herbert Grönemeyer, Modern Talking und West­bam nachspielen. Am besten alles auf einmal – den Popschlager mit stumpfem Techno zusammenbringen, schwere deut­sche Satzfetzen à la Grönemeyer mit jener durch Koks und Longdrinks hochgejazzten Party-Euphorie versöhnen.

Unvorstellbar. Geht nicht. Oder nur als Travestie, Camp und Ironie. Aber ernsthaft? Nein, wirklich nicht. Denn Modern Talking, Grönemeyer oder Westbam (und wie die mal ambitionierten, mal weniger ambitionierten Popschlagerhelden sonst heißen) machen ja keine Musik, sondern verkaufen ein Image, ein Format, ein Produkt, zu dem halt auch Töne, Sounds, vielleicht Gesangsstimmen gehören. Insgesamt sind die musikalischen Elemente für den Erfolg des Produktes vernachlässigenswert.

Wer aber heute, popgeschichtlich unbelastet, La Düsseldorf hört, deren Oeuvre in den letzten Monaten komplett wiederveröffentlicht wurde, entdeckt genau dies: Einen kristallwasserklaren Synthie-Pop, der aus allen Harmonien die eingängigsten und in ihrer Dynamik vorhersehbarsten wählt; der sich für einen supersimplen, treibenden Rhythmus begeistert; der keinen noch so effekthascherischen Soundeffekt auslässt; der jede Andeutung eines Textes in einer Ansammlung von Allerweltsphrasen zu wenden bemüht ist. La Düsseldorf sind eine Band, deren Mitglieder sich auf Teufel komm raus stylisch und »modisch« geben. Und das meinen die ernst.

Die Musik ist erst recht ernst, todernst. Und durch all ihre euphorischen Keyboard-Hymnen hindurch so kompromisslos wie Punk. Wer diese Musik heute hört und sich erst mal einen Dreck darum schert, wer die überhaupt gewesen sind, erlebt ein grelles Wunder: Aus dem tiefsten Under­ground sprudelt der Glamrock für den Niederrhein empor. Grell, in der Tat! Wenn diese Musik eines ist, dann krass überbelichtet.

Wie so oft schafft ein Blick in die Geschichte Klarheit. La Düsseldorf ist im Kern die Band von Klaus Dinger, seinem jüngeren Bruder Thomas und Hans Lampe. Nicht schwer zu erraten, woher die Band kommt. Klaus Dinger hat ja einen fetten Eintrag im Poplexikon der Gegenwart: von 1970 bis 1972 Schlagzeuger von Kraftwerk (auf deren erster LP er zu hören ist), danach gründet er mit dem Gitarristen Michael Rother Neu!, neben Can und Kraftwerk die beste deutsche Band jener Zeit, ab 1975 dann mit Thomas und Hans La Düsseldorf. Klaus ist kein guter Schlagzeuger, technisch gesehen, aber ein brillanter Stilist, man spricht vom Dinger-Beat – Dumm-Dumm-Dat –, bis heute einer der schönsten Beats im Pop, weil er bei aller Schlichtheit so organisch pulsiert. Schlagzeuger von La Düsseldorf sind aber Thomas, der von seinem Bruder erst 1972 zum Musikmachen überredet wur­de, und Hans, bis dahin Assistent des legendären Kölner Produzenten Conny Plank, bei dem Neu! wie La Düsseldorf ihre Alben aufnehmen. Klaus Dinger fungiert nun als Multiinstrumentalist, Sänger und wohl auch Guru.

Neu!, das war die vorweggenommene Symbiose aus Hippie-Sounds und Punk-Energie. La Düsseldorf, das ist so, als hätten sich die Hippies auf eine frühe Modenschau von Vivienne Westwood verirrt. La Düsseldorf sind Stylisten: weiße Overalls, Lederjacken mit dem schnörkeligen Schriftzug der Band, verspiegelte Sonnenbrillen und allerdings bescheuerte Schirmmützen. Das erste, gleichnamige Album ist ein Erfolg, »Viva« folgt zwei Jahre später (1978), und es ist ein Riesenerfolg. Die Verkaufszahlen gehen ins sechsstellige. Mit »Cha Cha 2000« haben sie einen wunderbar kitschig-melancholischen Discotrack und mit »Rheinita« einen richtigen Charthit, inklusive einem reichlich bizarren Fernsehauftritt in Thomas Gottschalks »Plattenbude«. Für die Punks gibt es noch den Spacegitarren-Klopper »Geld« (»Geld ist das Trauma dieser Welt«). »Individuellos« (1980) bringt aber nicht die Konsolidierung, das Album floppt. Thomas nimmt ein Soloalbum auf, Plattenverträge platzen, die Arbeit an einem neuen Album schleppt sich dahin. Die Musiker zerfleischen sich, Bruderzwist, Rechtsstreitigkeiten. Das vierte Album, bereits ohne Thomas, kann nur unter anderem Bandnamen erscheinen, »Néondian«, und zirkuliert, mangels Unterstützung der Plattenfirma, so gut wie gar nicht.

Die Geschichte geht gut aus. Aus heutiger Sicht. Klaus Dinger hat sich im Underground festbeißen können. In den 90er Jahren tourte er mit der Mini-Soupergroup La?Neu!, er traf auf junge Bands wie Kreidler und To Rococo Rot, die sich begeistert auf seine klassischen Arbeiten bezogen, söhnte sich mit seinem Gegenspieler Michael Rother aus und überließ seinem Fan Herbert Grönemeyer die Wiederveröffentlichung des Neu!-Katalogs. Auch mit seinen La-Düsseldorf-Kumpanen einigte er sich – Bahn frei für die erste reguläre Ver­öffentlichung des vierten Albums: »www.la-duesseldorf.de, Mon Amour«. Es präsentiert die Hymnen der Band noch einmal in ungebrochener Form, alle tief in die Tracks eingelassene Melancholie überstrahlend. Und gibt einen Ausblick auf das Album, das nächstes Jahr erscheinen soll (»Viva 2010«): Der Trash-Remix »Geld 2006« featuret Herbert Grönemeyer, unglaublich, der kann ja richtig cool sein.

Ein rheinisches Popmärchen. Nicht ganz, »Mon Amour« ist Thomas Dinger gewidmet. Thomas starb im April 2002, ihm und dem Vater Heinz ist das Album gewidmet.

Tonträger: »La Düsseldorf«, »Viva«, »Individuellos«, »Mon Amour« sind auf Warner Music erschienen.
Den Tonträger gibt es als Abo-Prämie, s. S. 76

Mehr Informationen: www.la-duessel dorf.de, www.dingerland.de