Zorn und Zärtlichkeit

Harald Bergmann verfilmt Tonaufnahmen

von Rolf Dieter Brinkmann: »Brinkmanns Zorn«

Erst die erweiterte Neuauflage seines Gedichtbandes »Westwärts 1 & 2«, dann sechs Stunden Spoken Words auf der CD-Sammlung »Wörter, Sex, Schnitte«, zuletzt die Ausstellung »Außerordentlich und obszön« und nun Brinkmann im Kino. Rolf Dieter Brinkmann lebt, daran kann auch sein Tod nichts ändern. 31 Jahre ist es her, seit der damals 35-Jährige in London kurz den Linksverkehr vergaß und überfahren wurde. Er wollte nach einer gefeierten Lesung in Cambridge in einen Pub mit dem Namen »The Shakespeare« einkehren. Es war der 23. April. Brinkmanns Todestag ist auch Shake­speares Todestag. Auch auf diese Weise belegte Brinkmann seine These, dass Realität immer die bessere Literatur ist. Harald Bergmann hat sich mit seinem Film »Brinkmanns Zorn« der letzten Jahre angenommen, in denen Brinkmann neue Wege beim Beschreiben der Welt suchte.

Auszüge aus dem Alltag

»Ist das nicht eine miese Realität«, fragt Brinkmann einmal und schiebt hinterher: »Was soll man da sagen?« Weil man da nichts sagen kann, zeichnet er auf Tonbänder auf. Der WDR hatte ihm ein Tonbandgerät zur Verfügung gestellt, auf dass er einen 60-minütigen Beitrag zur Reihe »Autorenalltag« beisteuere. Zurück kamen 29 Spulen mit zwölf Stunden O-Tönen aus Brinkmanns Alltag. Zu hören sind Familie, Freunde, Kölner Autos und Bäume, der Autor auf Partys und beim Wasserlassen an der Maastrichter Straße. Bergmann hat die Tonbänder bebildert, indem er die Darsteller synchron zu den Tonspuren agieren lässt. Ein sensationelles Experiment, das die Reanimation Brinkmanns vollendet.

StadtRevue: Nach der filmischen Hölderlin-Trilogie nun Rolf Dieter Brinkmann. Wie verlief die Annäherung?

Harald Bergmann: Schon Ende der 80er Jahre habe ich den Kontakt zur Witwe, zu Maleen Brinkmann aufgenommen und sie da­rauf hingewiesen, dass sich bei Super-8-Filmen die Farbträger nach 30 Jahren aufzulösen beginnen. 1996 haben wir schließlich gemeinsam die Filme abgetastet, um sie in ihrer ursprünglichen Qualität zu erhalten. Kurz darauf haben wir die Tonbänder, die Brinkmann 1973 für ein Selbstportrait aufgenommen hatte, digitalisiert. Sie hat uns auch mit Gegenständen aus Brinkmanns Leben geholfen: Möbel aus seinem Zimmer, als wir Brinkmanns Wohnung nachbauten, die Tasche, mit der er zu seiner letzten Lesung fuhr, kleine Dinge, die aber viel verändern. Wir haben auch mit Brinkmanns Bruder Karl Heinz gesprochen und ausführliche Interviews mit Wegbegleitern in den 70ern geführt, um in den Details gewissermaßen eine historisch-kritische Genauigkeit zu bekommen. Es geht ja hier um einen wirklichen Menschen und nicht einfach um Fiktion.

Es sind Aufnahmen aus dem Alltag, die Brinkmann nicht als Material verstanden wissen wollte, sondern als fertige Literatur. Jetzt liefern sie die Tonspur von »Brinkmanns Zorn«.

Wir haben uns für ein ungewöhnliches Experiment entschieden. Der Ton kommt aus dem Jahr 1973, ist Original-Brinkmann, und die Schauspieler spielen dazu. Man vertont immer Filme, aber ich kenne tatsächlich keinen Film, wo umgekehrt der Ton die Bilder herbeiführt und die Schauspieler wie hier einen ganzen Film lang lippensynchron zu den Tönen spielen und agieren.

Die Tonaufnahmen sind 1973 entstanden, zwei Jahre vor seinem Tod. In diesen letzten Jahren galt Brinkmann als künstlerisch erschöpft.

Um zu zeigen, dass das Gegenteil davon richtig ist, habe ich diesen Film gemacht. Ich finde das, was Brinkmann von 1971 bis 1975 gemacht hat, das Universellste und Wichtigste aus seinem Werk. Es geht über die Zeitgebundenheit zu den Sechzigern und der Popsachen hinaus, es ist Ausdruck eines universellen Zorns, den kein anderer so hingelegt hat. Mit »Westwärts«, das er ja noch kurz vor seinem Tod als erstes Buch nach fünf Jahren Rückzug fertig stellte, hat er auch künstlerisch bewiesen, bei welcher Qualität er angekommen war. Das sieht man im Film.

Wie wichtig war der schauspielernde Schriftsteller Eckhard Rhode für die Darstellung Brinkmanns?

Er hat einen Riesenanteil. Eckhard Rhode ist eben selber ein Dichter und von der Sprache her an die Darstellung herangegangen. Seine Gesten kommen aus dem genauen Nachvollzug von Atmung, Rhythmus der Worte und der Stimme Brinkmanns.

Zu sehen ist nicht nur Brinkmanns Zorn, sondern auch seine Zärtlichkeit, beispielsweise dem autistischen Sohn gegenüber. Blendet der Titel einen entscheidenden Bereich aus?

Der Titel gibt die Richtung vor: die Energie des Films und Brinkmanns, die aus dem Zorn kommt. Es werden aber auch die anderen Seiten von ihm sichtbar, die Warmherzigkeit, die er seinen engen Freunden und besonders seinem Sohn gegenüber an den Tag legte. Wir haben ja nichts erfunden, sondern es sind immer Szenen, die er selber aufgenommen hat. Und dass sein eigener Sohn nicht sprechen kann, ist ein Schmerz und ein Grund für den Zorn, der zu Brinkmann gehört.

Irritierend ist mitunter das Nebeneinander historischer und aktueller Motive, wenn also durch ein 70er-Jahre-Köln Autos des neuen Jahrtausends fahren.

Ich mag genau diese kleinen Kontaktpunkte zu unserer Gegenwart. In der Szene, auf die Sie anspielen, steht er auf einer Verkehrsinsel mitten auf dem Rudolfplatz und dichtet im Lärm mit dem Mikro in der Hand gegen die vorbeifahrenden Ströme von Autos an. Der Empfindung, um die es ihm da geht, nahe zu sein, darauf kommt es an. Es geht nicht um einen Historienfilm, der Brinkmann als Phänomen der 70er behandelt und damit auch entsorgt.

Formal entspricht der Film Brinkmanns Arbeitsweise. Lässt sich das auch auf zukünftige Filmprojekte anwenden?

Ich beschäftige mich seit langer Zeit damit, in welcher Form man poetische Sprache im Film inszenieren kann. Ich wollte einen Film machen, der Brinkmanns Intentionen und Arbeitsweisen berücksichtigt und anwendet. Das ist hier eine einmalige Situation: Ein Dichter mit solch einer Power hat seine Dichtung in einer Art Instant Composing auf Tonband aufgenommen. Man kann das so nicht auf andere Projekte übertrage. Einen Film über ein Kaliber wie Brinkmann zu machen, ist natürlich immer auch wie ein Boxkampf. Wir haben auf jeden Fall einen guten Fight geliefert.

Zur Person

Harald Bergmann, 43, studierte Literatur und Philosophie in München und Film an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am California Institute of Arts
Los Angeles. Filmografie: Das untergehende Vaterland (1992), Hölderlin Comics (1994), Poets (1996), Scardanelli (2000), Passion Hölderlin (2003)

Brinkmanns Zorn, D 06, R: Harald Bergmann, D: Eckhard Rhode, Alexandra Finder, Martin Kurz,105 Min.

6.1. Vorpremiere in Anwesenheit Bergmanns, Filmforum NRW, Museum Ludwig.
Ab 11.1. Filmpalette