Morden im Schaufenster

Günter Krämers »Richard III.« im Schauspielhaus

An der Rückwand des Kölner Schauspielhauses, auf einer eisernen Bühnenbrandschutztür zur Straße hin steht in triefend roter Schrift » Hier mordet Richard III.« Der Regisseur gewährt den Passanten während der Aufführung die Gelegenheit, ihr Weihnachtsshopping mal kurz zu unterbrechen und durch die sich ab und zu öffnende Tür ins Theater reinzuschauen: Voyeure des finstren Blutrauschs von König Richard? Schaulustige eines machterotischen Politkampfs? Oder eher Ironisierung, Verwirrung des Alltags durchs Theater?
Jens Kilians Bühnenraum macht’s möglich: Günter Krämer gibt in seiner Inszenierung von Shakespeares wohl bösestem Drama, dem Rosenkriegsstück Richard III., der Straße Einblick in die Werkstatt der hohen Kunst des Theaters. Wie weit wird man da wohl ins Haus schauen dürfen? Und geht umgekehrt auch die Kunst an diesem Abend irgendwie aus dem Theater raus?
Richard nicht, er bleibt ganz bei sich, auch wenn er nicht weiß, wo das sein soll: »bei sich«, denn er ist beides, ausschließlich bei sich und zugleich in sich gespalten, nicht wissend, wer er ist; er sagt: »Richard liebt Richard. Also. Ich bin ich«. Martin Reinke spielt diesen Familienschlächter und Logistiker der Usurpation im Hause York, der Gegenpartei der Lancasters in den Rosenkriegen. Und gemeinsam zeigen sie uns Einiges mit dieser Figur, der brilliante Reinke und der überlegene Regisseur; mal ist Richard der hinkende Bucklige Shakespeares, das Monster, das in Krämers dunkler Eröffnungsszene dem Dreckspfuhl eines Affenkampfs entsteigt, dann wirft er die lästige Maskerade aus dem Kostümfundus weg, duscht sich auf der Bühne und schlüpft in seinen dunklen Anzug, ganz der moderne Machtpolitiker, vor Mikro und Diaprojektor, auf dessen Folie er dem Publikum vorkalkuliert, wie er an die Krone zu kommen gedenkt.
Ein eindrucksvolles Repertoire, das wissen die beiden Theaterkünstler: »Alles Technik, alles Technik!«, lässt Krämer Reinkes Richard rufen als der sich, von Katatonien gepeinigt, am Boden windet. Geschickt verschränkt sich so das Portrait von Richards planerischer Eiseskälte mit dem Metakommentar zur Inszenierung. Ausformuliert beschreibt dieser, wie Theater heute aus der Sicht eines Kölner Altmeisterregisseurs nur noch gehen kann: Zeigen, was man alles kann, um zu zeigen, dass das alles auch nur kalter Kaffee ist (ausgenommen vielleicht die Spur einer immer leiseren, verzweifelteren Intimität im Raum zum Ende hin). Die Straße hat da nichts verloren.

»Richard III.« von William Shakespeare, R: Günter Krämer, mit Martin Reinke, Traute Hoess, Therese Dürrenberger u.a., Schauspielhaus Köln, 23.12., 17 Uhr, 25.12., 4., 7., 11., 19., 22., 23., 28., 31.1., 19.30 Uhr.