Immer mehr Billig-Jobs in Köln

In Köln zählten Ende 2005 gut 90.000 Menschen zu den »geringfügig Beschäftigten«. Keine kleine Zahl für eine Stadt, in der es insgesamt 450.000 sozialversicherungspflichtige Jobs gibt. Billig-Jobs und Niedriglohnarbeit sind kein Randphänomen, sondern längst im Zentrum des Arbeitsmarktes angekommen. In Köln wie in der ganzen Republik. Ein Prozess, der als Strukturwandel dargestellt wird, der aber nicht zuletzt politisch gewollt und inszeniert ist. Felix Klopotek unterhielt sich mit Gewerkschaftssekretärin Liv Dizinger.

StadtRevue: Frau Dizinger, welche Ursachen nehmen Sie für die Zunahme der Niedriglohnarbeit an?

Liv Dizinger: Zunächst einmal den sektoralen Strukturwandel: Es entstehen immer mehr Dienstleistungsjobs, während Industriejobs abgebaut werden. Das macht sich auch in Köln bemerkbar, auch hier sind Massenentlassungen im Industriebereich eingetreten, und die Industriearbeiter, die entlassen werden, haben nicht die nötige Qualifikation, um im Dienstleistungsbereich tätig zu sein. Sie müssen sich erst die entsprechenden Qualifikationen aneignen.

Das klingt ein bisschen nach Naturgesetz: Die Arbeitsteilung differenziert sich immer weiter aus, klassische Industriejobs gibt es im Westen immer weniger. Aber ist Niedriglohnarbeit nicht auch politisch gewollt und inszeniert? Die Industriearbeiter müssen sich einen anderen Job suchen, aber wo steht geschrieben, dass ihre neue Arbeit, ihnen weniger Lohn einbringen soll?

Politisch wesentlich sind die Hartz-Reformen und die Deregulierung des Arbeitsmarktes. Dadurch wurde insgesamt Druck auf die Löhne ausgeübt. Auslöser ist, dass das Arbeitslosengeld II erheblich niedriger ist als die alte Arbeitslosenhilfe und sich auf Sozialhilfe­niveau bewegt. Wichtig zu erwähnen wären hier vor allem die Verschärfung der Zumutbar­keitsregeln und die Kürzung der Bezugsdauer. Mit den Hartz-Reformen gingen auch Änderungen der politischen Rahmenbedingungen einher, zum Beispiel eine Neuregelung der Leiharbeit und der Minijobs.

Wie ist die Situation in Köln?

In Köln ist es so, dass der Niedriglohnsektor stark angestiegen ist, besonders deutlich wird das bei den Minijobs. Seit 2003, seit der gesetzlichen Neuregelung für geringfügig Beschäftigte, haben diese stark zugenommen. Damals betrug die Zahl der Minijobs noch genau 73.645, jetzt sind es circa 90.000. Was daran interessant ist: Minijobs sind ja eigentlich eine typische Frauenbeschäftigung. Der Anteil der Männer in den Jobs ist aber stark angestiegen, was bedeutet, dass sie nicht mehr nur ein Zusatzverdienst von Frauen sind, sondern für viele mittlerweile eine reguläre Beschäftigung bedeuten.

Wie ist die soziale Zusammensetzung im Niedriglohnsektor, wo kommen die Leute her?

Interessanterweise hat sich gezeigt, dass nur ein ganz geringer Anteil der Beschäftigten Un- und Angelernte sind. Personen ohne Berufsausbildung würde man eher vermuten, aber tatsächlich ist es so, dass viele Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung dort arbeiten. Zum Beispiel im Einzelhandel und bei Friseuren ist das der Fall, im Weiterbildungsbereich, bei Übersetzern auch, die haben in vielen Fällen eine Hochschulausbildung hinter sich. Insgesamt verfügen im Niedriglohnbereich Dreiviertel aller Leute über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine Hochschulausbildung. Es ist auch ein Vorurteil, dass vor allem junge Leute hier arbeiten. Es gibt auch viele Ältere, und für die ist es noch schwieriger, aus dem Niedriglohnbereich herauszukommen.

Ein Argument für Niedriglohnarbeit ist, dass sie doch ein optimaler Einstieg in den Arbeitsmarkt sei. Das kam noch mal hoch, als Ende 2005 in Frankreich die Aufruhren in den Banlieues stattfanden: Da hieß es, die Leute haben halt keine Chance eingestellt zu werden, weil das zuviel kostet, weil es in Frankreich einen zu hohen Mindestlohn gibt.

Das ist falsch. Es gibt, bezogen auf Deutschland, Untersuchungen, die belegen: Sind die Leute einmal in einem Minijob oder machen Leiharbeit, kommen sie da schlecht wieder raus. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird der Niedriglohnsektor zur Niedriglohnfalle. Nur etwa ein Drittel der Leute gelangt in höhere Jobs oder bekommt eine reguläre Beschäftigung und rutscht damit in den normalen Arbeitsmarkt. Außerdem steigt die Armutsgefährdung. Normalerweise wird erwartet, dass ein Lohn ausreicht, um Armut zu vermeiden. Bei Löhnen im Niedriglohnbereich ist dies nicht unbedingt der Fall. Immer mehr Menschen erhalten einen Lohn, der kaum zum Leben ausreicht. Daher kann man von Armut trotz Arbeit sprechen.


Liv Dizinger, 29, arbeitet beim Kölner DGB
im Bereich Wirtschafts- und Strukturpolitik.
Ende 2005 verfasste sie die Studie
»Niedriglohn­beschäftigung in Köln«.



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