Der große Rock’n’Roll-Schwindel

Der Musikjournalist Tony Parsons hat einen wahrhaftigen Punkroman geschrieben

Einer der deutschen Romantitel des britischen Schriftstellers Tony Parsons klingt wie für die Klientel zeitgenössischer Selbst­hilfe­grup­pen gemacht: »Männlich, allein­erziehend, sucht...«. Das bisherige literarische Oeuvre Parsons lässt sich tatsächlich unter britischer Erinnerungs­literatur im Sin­ne Nick Hornbys einsortieren. Mit »Als wir unsterblich waren« kehrt Tony Parsons zurück zu seinen Wurzeln – und liefert sein bis dato wahrhaftigstes Buch ab. Nicht von ungefähr sind die wichtigsten Figuren der Ge­schichte, die am 16. August 1977 in London spielt, allesamt Musikjournalisten.

Fiktionale Verdreifachung

Tony Parsons war jahre­lang Redakteur der wöchentlich erscheinenden Gazette New Mu­sical Express. Außerdem ging er als Lebensabschnittsgefährte der Kratzbürste Julie Burchill in die britische Popgeschichte ein. Burchill schug sich als Frau im Männerzirkus mit Zähnen und Klauen durch und veröffentlichte später eine trotzige Autobiografie des schnel­len Lebens namens »Verdammt, ich hatte recht!«. Das Musik­business ist eine Jungs­domäne. Die Perspektive des Jun­gen mit der umfangreichen Plat­ten­samm­lung hat Parsons als Schrift­steller nie aufgegeben, für den neuen Roman hat er sie fiktional noch ver­dreifacht.

Terry, Ray und Leon ar­beiten bei der angesagten Zeit­schrift The Paper. Unter ver­schie­denen Vorzeichen sind sie in dieses Leben hineingeraten, unter verschiedenen Sternen steht ihre Zukunft. Die Nacht, in der Elvis starb, wird zum ausgedehnten rauschhaften Augenblick. Jeder der drei Protagonisten trifft auf eine Vaterfigur, mit der er leben muss, und auf eine Frau, die seine bessere Hälfte fürs Leben sein könnte. Ray lernt auch noch John Lennon kennen, den er auf Ge­heiß seines Redakteurs inter­vie­wen soll. Die »letzte Chance« für den Hippie-Reporter, der in den Zeiten der New Wave zum Aus­laufmodell wird.

Kulturindustrie und Klassenkampf

Parsons liefert uns ohne viel Umschweife erzählte, schnör­kel­los verbundene Storys mit ei­nem Soundtrack aus Punk, Rock’n’ Roll und Disco, in denen es um
die heute noch funktio­nierenden Mechanismen der Kul­tur­indus­trie sowie um Drogen, zerplatzte Träume, Klassenkampf und Na­tionalismus geht. Am Ende trifft es allerdings nicht Ray, sondern einen anderen aus dem Trio der dummen Jungs. Leon verstößt gegen den Ehrencodex. Er hat einen Artikel über ein Konzert geschrieben, bei dem er nicht anwesend war und fliegt bei The Paper raus.

Für ihn endet die Illu­sion. No Future? Parsons hatte Glück, was die eigene Karriere angeht. Sein neuer Roman lebt davon, dass er dabei war, als Journalisten Teil der Punk-Be­wegung waren.

Tony Parsons: Als wir unsterblich waren.
Aus dem Engl. von Christian Seidl, Blumenbar Verlag, München 2006, 360 S., 19,90 €.