Illustration: René Kemp

Besser ist nie genug

Ein Begriff ist in unseren ­Alltag eingewandert:

Selbstoptimierung. Was technokratisch-­neutral klingt, ist eine Anleitung, die Hölle in uns zu errichten

Immer derselbe Look: Minusgrade in Berlin, Regen in London, Sommerhitze in New York — aber die Frisur sitzt. Das war das Wunderwerk des Haarfestigers »3-Wetter-Taft«. Noch vor zwanzig Jahren wurde der so nüchtern erzählte wie absurd anmutende Werbespot mit der ultramobilen Business-Lady gesendet, in dem ihr kein Haar gekrümmt und keine Bluse durch Schweißflecken ruiniert wird. Später lernten wir, diese Frisur als Betonfrisur zu verspotten.

 

Über die Zeitzonen, die Wetterlagen und die Geschäfts--anforderungen hinweg gab ab es eine Konstante: die Mana-gerin. Ihr Markenzeichen war ihre Identität. Sie blieb, die sie war, und wurde, was sie ist. Die Kämpfe der Zeit hatten in den 90er Jahren die Herausbildung einer Funktionärs-klasse des internationalen Kapitals zum Inhalt, in der Zeit, Raum und Persönlichkeit zu einer einzigen Dynamik verschmolzen. Das erforderte als Fixpunkt die stabile, in sich gefestigte, durchgereifte Identität des Managers.

 

Heute würde unsere Heldin womöglich den dritten Termin sausen lassen, weil sie lieber bei ihrer Familie sein will. Sie ließe es sich aber nicht nehmen, zwischen Picknick und Abwasch noch schnell auf ihrem Smartphone Kurznachrichten zu checken, nur um von ihrem Mann für ihre Delegierungskünste gelobt zu werden — sie steigern ihre sexuelle Attraktivität. Die Beton-Identität, versinnbildlicht in der Frisur, ist zerbröselt. Man bewegt sich nicht mehr panzerartig durch Zeit und Raum, verbreitet mit seiner eisernen Maskenhaftigkeit nicht länger Angst und Schrecken. Man ist übrigens auch kein Opfer der Flexibilisierung, zeigt keine Spuren von Hetze und Druck — und wenn doch, dann redet man offen darüber, macht seinen Therapeuten zur öffentlichen Figur und nimmt dem drohenden Burnout einen Teil seines Angstpotenzials. Jetzt ist man: nachhaltig, nachdenklich, wählt bewusst aus, trifft nur die Entscheidungen, die einem selber guttun, lebt im Hier und Jetzt, zerstreut sich, aber verzettelt sich nicht. 

 

Nicht mehr geht es darum, einen Standard für eine erfolgreiche Persönlichkeit erreicht zu haben und ihn zur Schau zu stellen. Jede Zumutung des öffentlichen wie des privaten Lebens wird nun als Herausforderung begriffen, darauf spezifisch zu reagieren. Ich schmiege mich diesen Zumutungen an, lasse mich auf sie ein, um doppelt und dreifach zurückzuzahlen, bis ich nämlich als Souverän dieser Situation auftrete und mir die anderen das abnehmen. Es ist verrückt, aber auch bezeichnend, dass sich für diesen heroischen Vorgang der technokratisch klingende Begriff »Selbstoptimierung« eingebürgert hat. Tatsächlich wird diese Selbstoptimierung von vielen als vollkommen neutral, eben: »technisch« begriffen — als ein Prozess, der letztlich zu mehr Chancengleichheit führe, schließlich muss dem Begriff nach jeder ständig irgendwo an sich rumschrauben: Es ist halt so, wir leben in einer flexibilisierten, globalisierten Arbeitswelt, daraus muss man das Beste machen.

 

So sperrig das Wort ist, so geläufig ist es erstaunlich vielen Menschen. Selbstoptimierung gehört heute zu unserem Alltag. Es bedeutet nicht nur gesünder zu leben, sondern auch, das ständig zu überprüfen. Nicht nur En-gagement am Arbeitsplatz, sondern auch, die Ziele des Unternehmens als seine eigenen anzusehen. Nicht nur, vielfältigen Hobbys nachzugehen, sondern sie als bereichernden Teil der Persönlichkeit begreifen. Nicht einem Wertekanon zu folgen, sondern die Bereitschaft alles, was man als wahr, schön und gut erachtet, auf den Prüfstand zu stellen. Selbstoptimierung bedeutet ihrem Wesen nach Entgrenzung: Jede Leistung kann man noch steigern, wenn man noch tiefer in sich eindringt, um noch mehr aus sich herauszuholen. 

 

Es ist ein technokratischer Begriff — und das sollte unseren Verdacht erregen. Wenn von Optimierung die Rede ist, dann denkt man für gewöhnlich an maschinell gesteuerte Abläufe: Die kann man doch wohl optimieren, also nicht bloß verbessern«, sondern genauer einstellen, perfekter aufeinander abstimmen. Aber — das Selbst? Dieses nur schwer zu fassende Innenleben der Menschen? Der vermeintliche Kern unserer Persönlichkeit, der sich uns ständig entzieht? Der irgendwo zwischen Seele und Bewusstsein, zwischen Phantasie und Gedächtnis changiert? Das Selbst also soll sich auch optimieren lassen? Wie eine Maschine? Wie Arbeitsabläufe in Großraumbüros und Fabrik-hallen?

 

Die Wirklichkeit ist noch trostloser: Die Optimierung einer Maschine stößt früher oder später an ihre Grenze, sie ist bestimmt durch den Stand der Technik, den Verschleiß von Bauteilen. Das Selbst kennt aber eine solche Grenze nicht. Gerade weil es so schwierig, vielleicht sogar un-möglich ist, das Selbst zu definieren, denn es ist kein abgezirkelter, autonomer Bereich im Inneren der Menschen, sondern ein Mischmasch aus Natur und Gesellschaft, kann man — können wir — es in jeder Hinsicht beackern, ausbeuten, manipulieren, dehnen und stauchen.

 

Das Versprechen der Selbstoptimierung lautet: Wenn wir nur richtig aus uns selbst schöpfen, dann können wir endlich das leisten, was uns unseren Träumen und Sehnsüchten näherbringt: Anerkennung im Job, Erfolg auf den Liebesmärkten, ein überlegenes Wissen. Das setzt aber voraus, dass irgendwann die Anerkennung erreicht ist, irgendwann der Erfolg sich einstellt, irgendwann genug Wissen vorhanden ist. Aber wo ist die Grenze? Und wer bestimmt sie? Wann hört das Streben auf? Es hört nie auf.

 

Selbstoptimierung ist ein Mittel im Konkurrenzkampf der Individuen. Wir denken, wir hätten es im Griff, weil Selbstoptimierung auf permanenter Selbstreflexion beruht. Aber das Mittel wendet sich gegen uns. Bin das wirklich noch ich, der da unablässig grübelt, was ich jetzt noch mehr tun könnte?

 

Wir pflanzen ein totalitäres Regime von Leistungs- und Konkurrenzbewusstsein in uns ein. Aber dieses Regime ist brüchig. Denn so wenig sich das Selbst bestimmen lässt, so wenig lässt sich von der Selbstoptimierung reden. Es existieren viele Selbstoptimierungen: Auf dem Gebiet der Familie, der Freizeit, der Arbeit, der Liebe — überall gibt es immer noch etwas zu optimieren. Dabei geraten diese Techniken der Internalisierung von Leistungs-nor-men miteinander in Konflikt: Jeder weiß, wie schwer Arbeit, Familie, Liebe, Hobbys, Gesundheit zu versöhnen sind. Eigentlich gar nicht. Und so schießt am Ende die Selbst-optimierung in ihrer mannigfaltigen Gestalt über sich selbst hinaus. Sie wird an ihrem Erfolg zugrunde gehen.