Noch ein langer Marsch

Massimo Carlotto notiert den Aufstieg eines Ex-Terroristen

Vor dreißig Jahren wähnte sich ein großer Teil der italienischen Gesellschaft auf dem Weg in den Sozialismus. Allenfalls strittig war, ob der Weg über die Revolution oder über Reformen verläuft. Spätestens mit der Entführung des Spitzenpolitikers Aldo Moro (1979) und der anschließenden Repressionswelle des Staates gegen die linke Intelligenzia war Schluss mit den Sozialismusillusionen. Was es konkret bedeutet, wenn sich die nicht verwirklichten Träume einer jüngst vergangenen Zeit in individuelle Zynismen und Überlebensstrategien, in Kriegsgewinnler-Mentalität und Skrupellosigkeit übersetzen, buchstabiert Massimo Carlotto aus.

»Arrivederci amore, ciao« beschreibt in knappen und beklemmend herzlosen Worten den lange Marsch des Giorgio Pelligrini in die satte Mitte der italienischen Gesellschaft. Pelligrini war in den 70er Jahren Aktivist der radikalen Linken, hat Bockmist gebaut und eine Odyssee zu lateinamerikanischen Guerilleros hinter sich. Anfang der 90er Jahre kommt er nach Italien zurück und kann souverän seine Haftstrafe verkürzen, weil er seine alten Genossen verrät. Kaum raus aus dem Knast tritt er eine Tour de Force an. Sein Ziel: ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Das geht am effektivsten unter Verwendung extralegaler Mittel – Mord, Raub, Korruption. Pelligrini, mit einer bemerkenswerten Furchtlosigkeit geschlagen, bedient sicher dieser Mittel genau dann, wenn er sie wirklich braucht. Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, das verleiht ihm den Charakter eines Berichtes, Motto: Zur Nachahmung empfohlen!

Brutal lakonisch und kurz angebunden

Carlotto, der aktuelle Star der italienischen Krimiszene, ist so alt wie sein Held und teilt mit ihm die gleiche Vergangenheit – auch er war linksradikaler Aktivist, auch er war von der staatlichen Repression akut betroffen (mehrere Jahre Knast für einen Mord, den er nicht begangen hat). Indem er das Italien der 90er Jahre – genauer: den saturierten Nordosten, den Veneto – als verkommen bis auf die Knochen darstellt, bleibt er den Intentionen jener alten Gesellschaftskritik verbunden. »Es war nie so leicht, ein paar verzweifelte Typen aufzutreiben. Heute findest du an jeder Ecke welche. Dieses Land ist der reinste Elefantenfriedhof geworden, alle kommen zum Sterben her«, lässt Carlotto einmal einen korrupten Kommissar zu Pelligrini sagen.

Man wünscht sich, Carlotto hätte sich hundert Seiten mehr Platz genommen, um sein Sittenbild des desillusionierten Italiens noch auszuschmücken. Sein Roman ist aber ein Genre-Thriller, brutal lakonisch und kurz angebunden geht es zu. Den Gefallen, diese Gesellschaft in epischer Breite prall zu porträtieren, tut Carlotto ihr nicht.

Massimo Carlotto »Arrivederci amore, ciao«, Tropen Verlag, Berlin 2007, 186 S., 18,90 €.

Lesung: »Massimo Carlotto trifft Gianrico Carofiglio«, im Rahmen der lit.Cologne, 10.3., Italienisches Kulturinstitut, 20 Uhr.