Schwarzlicht

Was wären wir ohne die Noirs. Seit Jahrzehnten schon versorgen uns die Franzosen mit dem Aufregendsten, was an Literatur überhaupt zu bekommen ist, beweisen immer wieder aufs Neue, dass literarisches Experiment und knallige Unterhaltung bestens Hand in Hand gehen können – und wissen doch immer noch eins draufzusetzen. So »Myrtille am Strand«, der knallig schwarz-bunte Noir-Krimi-Pulp von Oliver Mau, den der Berliner Shayol-Kleinstverlag gerade eben ins Deutsche hat übersetzen lassen. Myrtille, Mitte 30, halb Chinesin, halb Französin, arbeitet bei der Pariser Polizei und reist in die Provinz, um ihren Vater zu beerdigen. Dabei kommt es richtig dicke: Auf dem Weg zum Reichenghetto ihrer Kindheit muss Myrtille einen fiesen Dreifachmord untätig beobachten. Dort angekommen bekommt sie es mit ihrer snobistischen Schwester, deren minder abstoßenden Neureichenbrut, mit tschetschenischen Gangstern, französisch-italienischen Mafiosi, omnipotenten Exfreunden und auch noch einem nervigen, also: wirklich nervigen Provinzbullen zu tun. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass sie selber, Myrtille, unwissend im Zentrum einer irrsinnig anmutenden Kette an Verbrechen steht. Hört sich kompliziert an? Ist es auch. Aber wer sich Überraschungseffekt für Überraschungseffekt durch diese großartige Krimigroteske, die einen etwas chaotischen Tag im Leben einer jungen Frau beschreibt, durcharbeitet, der wird reichlich belohnt: Mit bösem Witz, mit gemeiner Figurencharakteristik, mit einer wahnwitzigen Erzählkonstruktion – und mit fast zwei Dutzend Leichen, von denen eine gewitzter drapiert wird als die nächste. »Myrtille am Strand« ist der erste Teil einer Trilogie. Wenn die Folgebände das halten, was der erste verspricht, wird in nächster Zeit für Freunde richtig lustiger, abgedrehter, hartgesottener und zeitgemäßer Kriminalliteratur nichts anbrennen.