Die Rhythmus-Revolution

Mit seinem Schlagzeugspiel definierte er die Popmusik neu: Am 22. Januar verstarb Jaki Liebezeit. Ein Nachruf

Vor zwanzig Jahren erlebte der Free Jazz eine ungeahnte Renaissance, die immerhin dazu führte, dass diese Außenseitermusik par exellence sich dauerhaft im Kanon der Popkultur etablieren konnte. Aber einer machte da nicht mit, das war Jaki Liebezeit. Damals sprach sich schnell rum, dass Liebezeit ein Jazzpionier war, er war zwischen 1965 und 1968, in hochdramatischen Jahren also, an allen wichtigen europäischen Free-Jazz-Ereignissen beteiligt, spielte hier in Köln mit Manfred Schoof und dem Globe Unity Orchestra. Auf Fragen zu dieser Zeit reagierte Liebezeit achselzuckend bis brüsk. Er verweigerte sich der Kanonisierung.

 

Leisten konnte er sich das, weil er an einer anderen Revolution teilgenommen hat. Ja, natürlich, Can, deren Schlagzeuger er war und deren Geschichte bis zum Überdruss erzählt worden ist. Aber man kann sich das nicht häufig genug vor Augen führen: Ihre Musik war eine rhythmische — und dann erst eine klangästhetische Revolution. Ein ganz simpler Vergleich demonstriert das schlagend: Man höre »Orange County Lumber Truck«, ein wirklich tolles Stück von Frank Zappas Mothers of Invention, das die Hippies durch seinen monoton durchgehaltenen Groove und sein konzentriertes Gitarrensoli zum Freak-Out brachte — und danach »You Doo Right« von Can. Beide Stücke entstanden 1968. Man glaubt es nicht. »You Doo Right« rauscht aus einer anderen Galaxie heran und verkörpert immer noch pure Gegenwart. Ein organisch pulsierendes Stück, das ganz Rhythmus ist, aus dem alles Weitere erwächst. Der Rhythmus als Melodie-Generator. Nicht nur Body, sondern auch Soul, und aus Body und Soul entsteht überhaupt erst Mind. Das war nicht nur das Werk von Liebezeit, aber er hatte daran entscheidenden Anteil. Das wusste er, und er hängte es nie an die große Glocke.

 

Er war der Studiomusiker für die ganz Großen und der Trommelfürst der Südstadt, auch dazwischen liegen Welten, aber darum hat er sich schon nicht mehr geschert. Unprätentiös, uneitel, immer für die nächste Session zu haben. Seine Zusammenarbeit mit Burnt Friedmann — später seine Duos mit Joseph Suchy und Marcus Schmickler — verhalfen ihm zu einem singulären Alterswerk. Ob ihn das gekümmert hat? Er hatte da schon auf Bass Drum und Hi-Hat verzichtet, die Füße blieben buchstäblich auf dem Boden, er hatte sich von jeder Rock-Dynamik verabschiedet und spielte eine selbstausgedachte (so muss das sein!) Weltmusik. Sein Trommeln klang jetzt zeitlich völlig losgelöst, unverrückbar, unerschütterliche Präsenz behauptend. Umso erschütternder sein Tod. Er hat kein unvollendetes Werk hinter-lassen, was er sagen wollte, hatte er gesagt. Das mag ein kleiner Trost sein. Aber es wiegt nicht das auf, was fehlt.