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Endlich vorbei!

Mit seinem Buch »Postkapitalismus« hat der britische Wirtschafts­journalist Paul Mason einen ­Bestseller gelandet. Er zieht darin Bilanz aus zehn Jahren Wirtschaftskrise und ­skizziert eine solidarische Ökonomie jenseits des Markts

 

Herr Mason, Sie sind durch Ihre Berichterstattung als TV-Journalist über die Eurokrise, besonders in Griechenland, bekannt geworden. Der Postwachstum-Ökonom Nico Paech sieht die Selbstorganisation der griechischen Gesellschaft in der Krise als Leitbild für die Zukunft. Teilen Sie diese Ansicht?

 


Nein, diese Form von Selbstorganisation ist ein Überlebensmechanismus. Der Weg zu einer post-kapi-talistischen Wirtschaft besteht nicht darin, dass man solche Überlebensstrategien glorifiziert, man muss vielmehr darüber hinaus fragen: Wie strukturieren wir den Teil der kapitalistischen Gesellschaft, der gut funktioniert, sodass er besser funktioniert? Für mich ist Technologie dabei entscheidend, und da bin ich anderer Meinung als die Postwachstums-Theoretiker. Ich denke, Technologie kann einerseits auch dann für ein moderates Wachstum sorgen, wenn die Wirtschaft global tendenziell stagniert. Aber wir müssen den Nicht-Markt-Sektor wachsen lassen, dort wo es um Gesundheit oder das Internet geht — natürlich kostenfrei. In Deutschland gibt es immer noch eine große Bewegung, die »Degrowth« als Strategie vertritt. Ich denke, das ist insbesondere vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD für die Linke fatal. Was will sie damit den Leuten anbieten, die schon jetzt keine Jobs haben und keine Aussichten, dass sich ihr Lebensstandard erhöhen wird?

 


Sie nennen in Ihrem Buch viele Menschen, die den Wandel zu einer postkapitalistischen Ökonomie vorantreiben — von Open-Source-Programmierern über Repaircafé-Betreiber bis hin zu politisierten, prekär beschäftigten Geistes-wissenschaftlern. Wer soll alle diese Gruppen zu einer Bewegung zusammenführen?

 


Diese kleinen Initativen können schon viel selber machen. Wenn jemand ein kosten-loses Wlan in einem griechischen Bergdorf einrichtet, ist das gut. Wenn man eine Volksküche organisiert oder eine Parallelwährung — auch gut. Der Unterschied zwischen mir und den traditionellen Peer-to-Peer-Aktivisten ist, dass ich denke, wir sollten uns politisch jetzt auf den Staat und die Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen konzentrieren. Um die erste Fabrik der Welt in Cromford zu bauen, brauchte es keinen Staat. Aber als dann mehrere Fabriken gebaut wurden, hat der englische Staat gesagt: Das finden wir gut. Dann hat er die Baumwollwebereien, die durch diese Fabriken ersetzt wurden, unterdrückt. Der Staat hat dem Kapitalismus den Rücken gestärkt. Und so etwas müsste man heute auch tun. Es wäre für Deutschland — sowohl für CDU/CSU als auch für die SPD — ein Riesen-vorteil zu sagen: Die Nicht-Marktwirtschaft, das kollaborative Wirtschaften, ist nicht nur ein Hobby oder eine Nischenaktivität, sondern es könnte die Zukunft sein. Also sollten wir die ersten sein, die Räume dafür schaffen. In Großbritannien schaffen fast alle Kommunen Anreize für die Ansiedlung von Startups. Warum schafft man nicht Anreize für Genossenschaftsbetriebe, die in einem Nicht-Markt-Sektor agieren? Oder Hightech-Betriebe, die auf Open-Source-Basis arbeiten, egal ob sie ihre Software kommerziell vermarkten oder nicht. Jede Kommune könnte von heute auf morgen auf Open-Source-Software umsteigen.

 

 

Aber wir wissen doch mittlerweile auch, dass in Open-Source-Projekten die gleichen Ausschlussmechanismen wie im Rest der Gesellschaft herrschen. Bei Linux oder der Wikipedia engagieren sich fast ausschließlich gut ausgebildete weiße Männer. Zudem investieren auch die großen Technologiekonzerne wie Microsoft oder Google in Open Source. Wie neutral ist denn die Technologie, in die Sie soviel Hoffnung setzen?

 


Alle Technologie jenseits des reinen Maschinencodes ist sozial determiniert. Software wird von weißen Männern geschrieben und genutzt. Da wundert mich nicht, wenn dann diese privilegierte Gruppe sagt: Wir widmen jetzt auch noch unsere Freizeit dem Programmieren kostenloser Software. Jedes Geschäft in Köln interagiert in gewisser Weise mit der Wikipedia, es taucht nur nicht in ihrer Kostenbilanz auf. Das ist ökonomisches Handeln, aber es kann nicht von der Mainstream-Ökonomie erfasst werden. Deshalb sollten wir froh über die Interaktion von Technologiekonzernen und der Open-Source-Bewegung sein. Es geht um Taktiken. Aber wenn es etwas gibt, dass Frauen und Minderheiten davon abhält, sich in der Open-Source-Bewegung zu engagieren, dann müssen wir das angehen. Vor einigen Jahren haben Feministinnen beim Kongress des Chaos Computer Clubs interveniert. Mit viel Geduld haben sie den weißen Nerds erklärt, was an ihrem Sexismus problematisch ist. Das lief fast auf dem Level von: »Wenn du einen schlechten Code verwendest, läuft dein Rechner nicht gut.« Das hat dann manchen eingeleuchtet.



Wenn Sie sagen, es sei neu, dass Menschen Dinge kostenlos herstellen, dann stimmt das doch nur bedingt. Frauen haben seit Jahrhunderten kostenlos in der Pflege oder der Erziehung gearbeitet. Welche Rolle spielt das im Übergang zum Postkapitalismus?

 


Der Kapitalismus hat die Tendenz, jegliche menschliche Aktivität zu kommerzialisieren, also gibt es Sexarbeit oder auch Freundschaftsarbeit. In dieser Dystopie, die manche Feministinnen vielleicht als Traum verstehen, gäbe es dann auch endlich Lohn für Hausarbeit, entweder vom Staat oder der Familie. Ich denke, der Weg zum Postkapitalismus geschieht über das Schaffen von Überfluss. Die Familie, in der Arbeit nur zu Hause, im Privaten, geschieht, unterdrückt offensichtlich Frauen. Also sollte das erste sein, was man tut, die Hausarbeit zu vergemeinschaften. Im Karl-Marx-Hof in Wien hatte man das so gemacht: Vor neunzig Jahren existierte dort schon eine kostenlose Wäscherei und kostenlose Kinderbetreuung, sobald man die Wohnung verlassen hat.

 


Das sind Errungenschaften der traditionellen Arbeiter-bewegung. Wie sollen die uns heute helfen, den Kapitalismus zu überwinden?

 


Heute wäre so etwas noch revolutionärer als damals und zwar aus folgendem Grund. Ich weiß nicht genau, wie es in Deutschland ist, aber in London sind viele junge Leute so arm, dass sie sich eine Wohnung teilen müssen, auch wenn sie nicht in einer Beziehung mitein-ander stecken. Teils teilt sich ein Paar mit einer dritten Person eine Wohnung, manchmal müssen sich aber auch zwei fremde Leute ein Zimmer teilen. Das Ergebnis ist, dass sie sehr viel Zeit weg von Zuhause verbringen, weil es dort — um einen technischen  Ausdruck zu benutzen — beschissen ist. Eine postkapitalistische Lösung wäre, auf sie zuzugehen und zu sagen: »Anstatt den ganzen Tag mit deinen Kopfhörern im Starbucks zu sitzen, warum kommst du nicht in unser kollektiv organisiertes Café und trinkst dort Capuccino? Ein Cappuccino kostet nur ein paar Cent in der Herstellung, ich denke, wir kriegen das billiger hin als Starbucks und die Musik und die Innenausstattung wären bei uns auch besser.« Letztlich begreife ich das postkapitalistische Projekt wie ein Whiteboard mit Post-It-Zetteln. Wenn jemand sagt: »Wir sollten einen radikal feministischen Ansatz für die Hausarbeit wählen«, würde ich sagen: »Klar, macht das.« Es geht zuerst um menschliche Bedürfnisse, nicht nur um eine neue Form der Ökonomie.

 

 

Was würden Sie von unserem jetzigen ökonomischen System im Postkapitalismus erhalten?

 


Dieses Projekt muss so konkret wie realistisch sein. Wir müssen dafür sorgen, dass es kurz- und mittelfristig erreichbar ist. Deshalb ist es für mich weniger wichtig, darüber zu spekulieren, wie genau das Resultat ökonomisch aussähe, sondern den Übergang jetzt zu starten. Also: das Grundein-kommen. Das ist auf jeden Fall eine ziemliche Abkehr von dem, was der Kapitalismus gerade leistet. Die Abkehr ist sogar so groß, dass der Großteil der Bevölkerung das Grund-ein-kommen nicht unterstützt, weil sie die Logik dahinter nicht begreifen können. Deshalb denke ich, man müsste erstmal eine Art Feldversuch machen. Denn so offensichtlich ist es nicht, wie man manche Probleme des Grundeinkommens überwindet. Unsere Gesellschaft ist halt atomisiert, es existiert eine kleine Gruppe von schlecht gebildeten und kriminellen Menschen, die nur das Geld nehmen werden und sich nicht an der kollaborativen Arbeit betei-ligen. Die Mittelklasse wird zuerst diese Menschen hassen und dann die Regierung, die ihnen Geld gegeben hat. 

 


Mit dem Grundeinkommen könnte sich aber auch das Lohngefüge ändern, weil unattraktive Niedriglohnjobs etwa in der Pflege besser bezahlt werden müssten, damit sie jemand erledigt.

 


Ich denke, dass das Grundeinkommen hoch sein sollte — etwa bei 9000 Euro im Jahr, das ist die Höhe der britischen Grundrente. Ich würde allerdings den Mindestlohn deutlich anheben, damit es einen starken Anreiz zur Arbeit gibt. Aber wer wollte, könnte vom Grund-einkommen leben, jeden Morgen Kaffee und eine Zigarette haben und Gedichte schreiben. Man muss es modellieren: Ich will wissen, wie Menschen mit Grundeinkommen -handeln, und dann würde ich gerne eine Simulation auf einem Supercomputer machen, der berechnet, wie sich Millionen Menschen mit Grundeinkommen verhalten. Es ist eine Subvention für Automatisierung. Wir könnten zu VW oder Siemens gehen und sagen: »Automatisiert eure Fabriken, wir helfen euch dabei.« Ich habe eine automatisierte Solarzellenfabrik in Niedersachsen besucht, in der kaum noch Menschen gearbeitet haben. Das Grundeinkommen gibt einem die Möglichkeit zu sagen: »Streichen wir hier noch zehn Prozent der Jobs? Oder sollen wir lieber die Deutsche Bahn automatisieren?«

 

 

Würden Sie denn die Automatisierung — also die Maschinen und Computer — besteuern, um so Geld für das Grund-ein-kommen einzunehmen?

 


Ich bin mir nicht sicher, ob ich Auto-matisierung besteuern würde, weil ich ja Anreize für mehr Automatisierung bieten will. Ich würde aber die Produkte, die Einnahmen und natürlich auch das Vermögen besteuern. Für mich ist das Grundeinkommen eine Übergangsmaßnahme, bis man weitere Tätigkeiten in den Nicht-Markt-Sektor verlagert hat. In der alten sozia-listi-schen Programmatik hat der Staat den Markt unterdrückt. Diesmal geht es darum, dass der Nicht-Markt beides ersetzt — und zwar wirklich beides. Das Resultat sollte aussehen wie in »Der Rote Planet« von Alexander Bogdanow: eine freie Ökonomie im Überfluss. Bogdanow war ein Bolschewik, aber in seinem Buch von 1908 stellte er sich eine nicht-bolschewistische Form des Kommunismus vor. In der heutigen globalen Elite ist bislang niemand darauf vorbereitet, über den Neoliberalismus hinaus zu denken.