Tanz die Helikopter-Mutter!

Andrea Bleikamp stellt Mütter und Töchter aus: angreifbar, körperlich, furios

Manche Dinge dauern ein Leben lang. Von der Wiege bis zur Bahre lotet Regisseurin Andrea Bleikamp vom wehrtheater in ihrer Inszenierung »Mein eigen Fleisch und Blut« das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern aus. Alles beginnt im Mutterleib, wo die beiden Akteurinnen in hautfarbenen Anzügen Embryonen darauf warten, sich in Bewegung zu setzen. Die Harmonie der Nestwärme, begleitet vom rhythmischen Herzschlag, löst sich im Moment der Abnabelung in einen Wettstreit auf. 

 

Es sind schöne und ansprechende Bilder wie diese, die im Verlauf des einstündigen Reigens durch die Welt der Mütter-und-Töchter-Beziehungen den Zuschauer verstörend beglücken. Inspiriert von Simone de Beauvoirs Text »Ein sanfter Tod« wird das Verhältnis in collagenhaften Szenen erforscht und gleichzeitig mit Erfahrungen der Spielerinnen unterfüttert. Dass dabei die aus Kolumbien stammende Tänzerin und Choreographin Bibiana Jiménez und die Schauspielerin Asta Nechajute vom Nö-Theater unterschiedliche kulturelle Wurzeln und Ansätze mitbringen, sorgt für reizvolle Ambivalenzen. 

 

Die Spannungsverhältnis zwischen den Generationen drückt sich mal in zu hohen Ansprüchen, die aneinander gestellt werden, mal im Realitätscheck der tradierten Rollenbilder aus. Im schnellen Wechsel schlüpfen die Akteurinnen in die Rolle der Mutter oder Tochter. Gerade sind Mütter und Töchter noch beste Freundinnen, da spannt der mütterliche Ehrgeiz den Nachwuchs in ein Joch aus Projektionen und Erwartungen ein. Anschaulich und komisch zugleich von Asta Nechajute auf die Bühne gebracht, wenn sie sich beim Klavierspiel quält. Währenddessen die Mutter ihre Proteste mit den Worten abkanzelt, Kinder in Afrika seien froh, wenn sie Klavierüben dürften. »The most beautiful Girl in the World« von Prince bildet den Soundtrack für eine furiose Choreographie, in der beiden Frauen das »weibliche« Talent des Multitasking im Haushalt als vergiftetes Kompliment entlarven. 

 

Eindringlich gerät ein Tanz der Scheren. Jede hängt an einer Schnur, Nabelschnur und Schicksalsfaden zugleich, die über die Bühne gespannt sind. Das Haushaltgerät wird zur Waffe, Symbol einer subtilen Gewalt, die Wunden hinterlässt. Wunden, die auch im starken Schlussbild nicht vernarbt sind, wenn beim Tod der Mutter, zwischen Versöhnung und Abrechnung, aus den Lebensfäden das Leichentuch wird. 

 

 

»Mein eigen Fleisch und Blut«, A + R: Andrea Bleikamp, Orangerie, Spieltermine wieder im September