Foto: Dörthe Boxberg

Das Gebäude als These

Die Kölner Künstler Nico Joana Weber und Arne Schmitt fragen,

mit welcher Architektur wir leben wollen

Ein gesichtsloses Bürogebäude aus den 90er Jahren neben einer braunen Fliesenfassade, zusammengewürfelte Mehrfamilienhäuser an vierspurigen Straßen, dazwischen ein paar übrig gebliebene Altbauten. Nein, wegen der Architektur verschlägt es einen nicht nach Köln. Wenn die Stadt mit einem Makel zu kämpfen hat, dann ist es ihre Hässlichkeit. Nico Joana Weber (*1983) und Arne Schmitt (*1984) sind vor sechs bzw. vier Jahren in Köln gelandet und haben diese städtebauliche Konstellation und die Geschichte, die sich dahinter verbirgt, beobachtet und als ein Thema ihrer Arbeit schätzen gelernt. 

 

Weber wechselte nach dem Studium am Goldsmiths College in London an die Kunsthochschule für Medien, Schmitt kam nach dem Diplom in Fotografie aus Leipzig, in Köln haben sie sich über ihre künstlerische Arbeit kennengelernt. »Am Anfang war ich schockiert von dieser einförmigen 50er Jahre-Bauweise, doch wenn man genauer hinschaut, sieht man so viele Variationen in Material, Farbe und Form«, sagt Weber, die einem 50er Jahre-Relikt ihren frühen Film »Porträt« (2011) widmete. »Mich hat interessiert, dass diese Spuren der Nachkriegsarchitektur immer weiter verwischt werden. In der Geschichte Kölns spielt gerade diese Zeit eine besondere Rolle. Dass hier nach dem Krieg überhaupt jemand den Mut und Willen aufgebracht hat, etwas aufzubauen, das spiegelt sich für mich in dieser Architektur wider. Deshalb finde ich nicht, dass es eine Lösung ist, das ausradieren zu wollen.« 

 

Um die Entstehungsgeschichte von Architektur und ihr gegenwärtiges Ansehen geht es auch Arne Schmitt in seinen fotografischen Arbeiten. Seine Beobachtungen zur deutschen Nachkriegsarchitektur und ihrem Gebrauch fasst er in Künstlerbüchern zusammen und stellt ihnen Titel oder Texte gegenüber, die das Gebäude als These begreifen. »Mit den Kategorien hässlich und schön argumentiere ich nie«, sagt er, »sondern nur damit, warum eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ein Gebäude zu einer bestimmten Zeit sympathisch findet oder nicht«. Sein letzter Bildband »Die neue Ungleichheit« handelt von der »neoliberalen« Architektur in Köln und den Zuständen, Nachbarschaften und Bedeutungen von Bauten wie der Lanxess-Arena, dem Bezirksrathaus Kalk oder der Grube des Stadtarchivs. Auch die Hohenzollernbrücke und der Dom kommen darin vor: »Der Kölner Dom verkörpert etwas schon immer da gewesenes, einen stabilen Wert, auch wenn ständig daran rumgewerkelt wird. Und er steht neben dem Heinrich Böll Platz, der gleichzeitig das Dach der Philharmonie und ein ewig trauriges Provisorium aus der frühen Zeit des Neoliberalen ist — ein öffentlicher Ort, der regelmäßig abgesperrt wird, um den Baufehler der schallempfindlichen Decke zu kompensieren.« 

 

Die Idee der Architektur als Machtgeste, der »Alleinanspruch« des Architekten auf die Welt, ist der Ausgangspunkt der ersten gemeinsamen Ausstellung der beiden Künstler in der Temporary Gallery. Webers neuer Film »Land of Enchantment«, den sie während ihres Stipendiums an der Villa Romana in Florenz im letzten Jahr fertiggestellt hat, bringt fünf Orte in New Mexico zusammen, die landschaftlich und kulturhistorisch nicht unterschiedlicher sein könnten. Bilder erstarrter Lavaströme reihen sich an weiße Gips-Wüsten, Felszeichnungen einer ausgestorbenen Eingeborenenkultur wechseln sich ab mit dem modernistischen Bau eines Raumfahrtmuseums, in dessen gläserner Fassade sich der Wüstensand spiegelt, und gehen über in die weite Leere der Trinity Site, heute militärisches Sperrgebiet, wo die erste Atombombe gezündet wurde. Weber plante eine ganze Reise um den Drehtermin am 70. Jubiläumstag. Anfang und Ende der Menschheit fügen sich an diesen fünf Orten — und im Film — simultan zusammen. 

 

Dem gegenüber steht Arne Schmitts sehr reduzierter Film »Mit weniger mehr schaffen«, in dem er sich die kanonische »Bauentwurfslehre« des Architekten Ernst Neufert vorknöpft. Sie ist ein Nachschlagewerk der Rationalisierung und Normierung von Alltagsarchitektur aus den 30er Jahren, das noch heute in keinem Architekturbüro fehlen darf. Einer der bekanntesten Bauten von Neufert, der Lehrer am Bauhaus und Architekt unter Walter Gropius und Albert Speer war, ist das Ledigenheim in Darmstadt; ihm widmet Schmitt eine Foto- und Textarbeit. Eine Bauform, die nur für den Einzelnen oder Vereinzelten geschaffen ist, und das ganze Spannungsverhältnis von Gemeinschaft, Individualisierung und Architektur des 20. Jahrhunderts in sich vereint. Fragen zu Wohnungsknappheit und Gentrifizierung stecken unweigerlich in diesen spröden Schwarzweißfotografien. Deren Beantwortung aber bleibt den BetrachterInnen überlassen.

 

Nico Joana Weber & Arne Schmitt: »Alleinanspruch«, Temporary Gallery, Mauritiuswall 35, Do–Fr 14–18, Sa +So 13–17 Uhr, bis, 30.4.

Parallel ist im screening room der Film »The Mycological Twist« von Eloïse Bonneviot / Anne de Boer zu sehen.

Das Buch von Arne Schmitt »Die neue Ungleichheit. Ein Bildband entlang neoliberaler Architekturen« mit einem Essay von Thorsten Krämer ist bei Spector Books erschienen, 88 S., 24 Euro.