Soll weg, sollte aber besser erhalten bleiben: Kölner Kunstsäule (Foto: AIC)

Die Kunst der Selbstverhinderung

Fünfzig alte Litfaßsäulen könnten zu »Kunstsäulen« werden. Eine Köln-Posse

 

 

Im 19. Jahrhundert hatte ein Berliner Drucker eine zündende Geschäftsidee. Ernst Litfaß erwirkte 1854 die erste Genehmigung für seine »Annoncier-Säulen«, stellte die ersten Hundert im Berliner Stadtraum auf und sicherte sich das Monopol. Sie eroberten die Welt, auch Köln, wo heute noch 800 dieser Säulenheiligen der Außenwerbung übrig sind. Nicht die anmutigen Jugendstilexem-plare mit Pagodendächlein, sondern, typisch Kölner Moderne, schlichte Betonzylinder mit flachem Tellerabschluss. Gut drei Meter hoch, fünf Meter im Umfang, Platz für rund dreißig DIN A1-Plakate.

 

Zuletzt bin ich immer wieder vor so einer Säule stehengeblieben, auf dem Lenauplatz, am Neumarkt, im vielsprachigen Getümmel der Kalker Taunusstraße. Sie sprangen ins Auge. Auf einer waren mit feinem Strich die Stimmen bedrohter Vogelarten verzeichnet. Woanders las man auf einem signalgelben Koloss »Wir haben keine Angst«, darunter eine Mobilnummer, eine Anspielung auf die Lauschangriffe der NSA. Beides waren Plakataktionen von Absolventen der KHM, die im Herbst 2015 das Projekt »Kunst an Kölner Litfaßsäulen« initiierte. Zuletzt nutzte das Photoszene-Festival die analogen Ausstellungsflächen. Fazit: Kunst im Stadtraum, zeitgemäß gedacht und intelligent umgesetzt. 

 

Hier nimmt die Erfolgsgeschichte leider eine kölsche Wendung. Die Ströer AG als Eigentümerin der Kölner Litfaßsäulen unterstützte die Kunstprojekte, denn laut Werbenutzungsvertrag mit der Stadt Köln muss sie sowieso 300 Säulen ausmustern. Inzwischen hat Ströer vertragsgemäß begonnen abzureißen. Das Kunstszene-Netz AIC startete Ende 2016 eine Petition, um 50 »Kunstsäulen« zu erhalten, sammelte 1134 Unterschriften (Stand 15.2.), die Anfang März an Ströer und die Stadt Köln übergeben werden. Damit es weiter geht, müsste die Stadt Ströer aus der Rückbauverpflichtung entlassen. Klingt machbar, spart sogar Geld. Aber offensichtlich reden die richtigen Leute nicht miteinander. 

 

Anruf bei Ströer: Laut Vertrag sei man zum Abbau verpflichtet, so der Pressesprecher, keine weitere Aussage zum Thema. Nachfrage beim Kulturamt: Unbedingt erhalten, man denke sogar an finanzielle Unterstützung. Die Bezirksvertretung Ehrenfeld hat bereits im November per Dringlichkeitsantrag den Erhalt beschlossen und die Oberbürgermeisterin aufgefordert, sich mit Ströer in Verbindung zu setzen. Frau Reker? Sind Sie noch dran? In Ihrer Neujahrsansprache im KunstSalon sagten Sie etwas hochinteressantes: »Aus meiner Sicht sollten wir die öffentlichen Räume wieder mehr zurückgewinnen für die Kultur.« Sie lobten die vorbildlichen Skulpturprojekte Münster, die Kunst auf öffentliche Straßen und Plätze bringen, so etwas biete »Zugang für alle«, erreiche auch jene Bürger, die nicht ins Museum gehen. Stimmt. Genau wie die Kölner »Kunstsäulen«. Jetzt seien Sie doch so gut und rufen Sie bei Ströer an und erzählen denen nochmal das gleiche. Sonst wird das wieder eine Kölner Selbstverhinderungsgeschichte. Wie damals, als die Kunsthalle plötzlich weg war.

 

Info: aic.cologne, Petition und Lageplan Kunstsäulen: change.org