Wilder Genremix: "Tauchfahrt ins Verderben"

Crazy verknallt in Pop

Das Filmfestival »Besonders wertlos« präsentiert drei der

unvergleichlichen surrealistischen Kurzfilme des

Aachener Rentners und Autodidakten Bruno Sukrow

Gott spielte André Breton, Louis Aragon und den anderen Surrealisten der ersten Stunde einen prächtigen letzten Streich, als er die Lästerbande nicht in die Hölle schickte, sondern zu sich an seine Paradiesbrust holte. Nun sitzen sie dort auf einer Regenwolke (soviel Bockigkeit muss sein) und betrachten die Welt auf der Suche nach letzten Spuren ihres wilden Treibens. Sie finden zwar viel, es fasziniert sie aber wenig. Vor ein paar Jahren herrschte allerdings plötzlich Schweigen in diesem sonst so wortgewaltigen Kreis: Denn ihr Blick blieb an einem Haus in Aachen hängen, wo ein Herr mit über achtzig Jahren seiner Familie einen kurzen Film zeigte, den er mit Animationssoftware gestaltet hatte.

 

Die Geschichte dieser noch eher groben Präziose war purer Pulp-Wahnsinn, in dem sich Edgar Wallace und billige Comics gute Nacht sagen. Verstärkt wurde der Eindruck dadurch, dass der Senior selbst sämtliche Personen sprach, und dies nicht immer mit allzu gut unterscheidbaren Stimmenregistern. Breton und die anderen Surrealisten waren fassungslos! Dieser Pensionist ließ an seinem Computer seinen innersten Engeln und Dämonen völlig freien Lauf. Und das alles basierend auf einer Leidenschaft für jene Art von allerniedersten Materialien, die die Surrealisten so liebten: dem ebenso abstrus verstiegenen wie visionären Abenteuer-, Krimi-, Heimat-, -Science-Fiction-, Arzt-, Kriegs-, Western-, Schauerschund, der von Heftromanen bis zu Daily Soaps alles zum Leben erweckt, was den Bourgeois gar nicht amüsiert. Ein Blick auf die Türklingel und die Surrealisten wussten, wie ihr neuer Held heißt: Bruno Sukrow.

 

Eigentlich macht der 1927 geborene ehemalige Maschinenschlosser die Filme nur, um sich die Zeit zu vertreiben. Ihm ist langweilig, seit seine Gattin starb. Und den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen oder ähnlich deprimierende Seniorenaktivitäten liegen ihm nicht. Wobei das Filmemachen für ihn nichts grundsätzlich Neues ist: Sukrow hielt das Leben seiner Familie schon seit langem fest, auf Super-8 erst, dann Video. Zudem hatte er schon immer eine Technik-affinität. Animationssoftware für den Computer war für ihn auch nur eine weitere Herausforderung: eine Technik, die man in den Griff bekommen konnte. Ursprünglich wollte Sukrow seine Werke lediglich als seinen Nächsten zeigen. Seine ersten Filme liefen alle im heimischen Wohnzimmer, kurz nach Kaffee und Kuchen. Mehr wollte er nicht.

 

Dass aber ungleich mehr drin war, zeigte sich, als Sukrow seinem Sohn Robert nach zähen Verhandlungen endlich erlaubte, seine jeweils neuesten Werke auch eingeladenen Gästen zu zeigen. Der Ort: Das »L__rzeichen«, ein Kulturraum im Erdgeschoss des Hauses, wo auch Bruno Sukrow wohnt. Er selbst ist bei den Vorführungen seiner Werke nie zugegen; überhaupt scheut er das Licht der Öffentlichkeit. Manchmal könnte man fast glauben, er sei ein kollektiver Traum — von einer Art Filmemacher, die es mittlerweile kaum mehr gibt: radikal persönlich, ambitionsfrei, arglos und crazy verknallt in Pop. Dabei sind seine Filme auf eine Art lustig, wie man das vielleicht noch von Helge Schneider kennt oder den eigenen Großeltern. Die Witze sind so bescheiden-selbstironisch, dass man denjenigen, der sie über sich zu machen versteht, einfach lieben muss.

 

Wer sich mit Sukrow beschäftigen will, musste also bis vor zwei Jahren nach Aachen fahren. Und daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Auch wenn einzelne seiner Arbeiten mittlerweile auf Festivals in den Niederlanden, Spanien, Peru, Russland und Kroatien für allerlei Aufsehen sorgten: Die Sukrowphilie bleibt ein lokales Phänomen — Vorführungen wie die beim Kölner Festival »Besonders wertlos« sind Ausnahmen.

 

Die drei Kurzfilme, die dort zu sehen sein werden, geben einen perfekten Eindruck davon, was Sukrows Genie ausmacht. »Reno Roc III: Klinik der Wölfe« (2016) ist eine besonders bizarre Folge der Saga um einen grimmigen Ermittler mit lockerem Zeigefinger und noch lockererer Schnauze — 50 % Schimi, 50 % Magnum, 50 % Maigret, was die Mathematik verweigert, macht Sukrows Kunst möglich. Dem folgt sein weltweit gefeierter Klassiker »Anna« (2014), in dem Sukrow seiner Leidenschaft für Krankenhäuser, Irren- und sonstigen geschlossenen Anstalten frönt. Zum Ab--schluss dieses Trips in die höchsten Höhen des Abgründigen wird der Zombie-U-Boot-Abenteuer-Kracher »Tauchfahrt ins Verderben« (2013) gezeigt. Der erfahrene Sukrowist würdigt ihn als eine Zuspitzung im Schaffen des Meisters, werden in ihm doch die Genres noch haarsträubender gemixt als sonst. 

 

Hier zeigt sich, was es heißt, wie die Surrealisten mit offenen Augen und Ohren zu träumen.