Moritz Sostmann: "Ich versuche den Unterschied zwischen Puppe und Mensch zu nivellieren.", Foto: Dörthe Boxberg

Die Welt, eine Bar

Moritz Sostmann inszeniert am Schauspiel Köln Goethes Megadrama »Faust II«

Gerade hat Regisseur und Puppenspieler Moritz Sostmann am Schauspiel Köln Goethes Gassenhauer »Faust« auf die Bühne gehievt, eine gelungene Dekonstruktion voller origineller Ideen. Jetzt wagt er sich an »Faust II«. Wie der Regisseur den Stoff packt und ob sich Goethe die Schau stehlen lässt, erzählt er im Interview.

 

 

Goethes »Faust« gilt als Menschheitsdrama schlechthin: die ungeheuerliche Suche nach dem, was die Welt zusammenhält. Wie schwierig war es für Sie, davon ausgehend eigene Ideen zu entwickeln?

 


Jeder weiß, was der »Faust« ist. Das geht einem bei keinem anderen Stück so. Mir ging es darum, im ersten Teil einen persönlichen Zugang zu finden: die »kleine Welt« auf der großen Bühne des Schauspiels, wo es um Fragen nach Liebe, dem Ich, der Beziehung zu Familie geht. Während der Proben haben wir Jugendfotos mitgebracht, um irgendwie etwas Persönliches zu finden, was uns in der Vergangenheit an gemeinsamer Geschichte vereinigt hat.

 

Das wäre?

 


Viele Parallelen gab es bei Kleidung aus den 80ern und den Motiven auf Familienbildern: alle am Kaffeetisch oder beim Urlaub in Italien. Angelehnt an diesen Stil haben wir die Kostüme entwickelt und auch die Charaktere der Puppen. Wir haben versucht, sie so zu formen, dass sie was mit uns zu tun haben. 

 

Sie haben das Persönliche auch in die Sprache einfließen lassen. Sprachlich feiern Sie in »Faust I« das Weltdrama nicht ab.

 


Im Gegenteil.Wir wollten den Text möglichst umgangssprachlich lesen. Dass heißt aber nicht wie im Film wegstreichen, sondern auf einen heutigen modernen Sinn verstehen. Um möglichst viel vom intellektuellen Ballast in den Hintergrund zu rücken. Aus »Faust I« ist deshalb fast so etwas wie eine persönliche Beichte geworden, ein Art poetisches Tagebuch. 

 

Jetzt wagen Sie sich an »Faust II«. Goethes Alterswerk ist monströs, ein Bühnenunding und eine der ganz großen Herausforderungen für das Theater, immer noch. Wie packen Sie es an? 

 


Wer das Acht-Stunden-Werk erwartet, die volle Breite, wird es nicht bekommen. Wir haben uns die für uns wesentlichen Geschichten vorgenommen und sie extrem eingedampft. Die großen Weltthemen bleiben trotzdem: Geldschaffung, Familiengründung, Landgewinnung, Gesellschaftsordnung, Krieg. Dafür hat Goethe ja schließlich wie in einem Fantasie-Film zwei durch die Zeit reisende Protagonisten erfunden, um die Themen zu deklinieren.

 

 

Wie und was deklinieren Sie auf der Bühne?

 


Wir lassen die »große Welt« auf der kleinen Bühne im Depot 2 an einer Bar entstehen, wie eine Schnapsfantasie. 

 

Wenn es auf Mitternacht zugeht?

 


In genau dieser Atmosphäre, wenn die Diskussionen lebhaft werden und die Hemmungen fallen. Man fängt an, sich über Gesellschaftsentwürfe zu unterhalten oder den positiven oder negativen Sinn von Geld. 

 

Das klingt recht zeitgeistig.

 


Wir werden »Faust II« nicht als historische Geschichte nacherzählen. Bei uns ist zum Beispiel der Homunculus, der bei Goethe der künstlich-alchemistische Mensch ist, eine künstliche Intelligenz. Er soll sich eher in den Köpfen der Menschen vermehren als in den Wassern des Ozeans aufzugehen.

 

Sie sind in Halle an der Saale aufgewachsen. Dort gibt es bis heute ein Staatstheater für Puppenspiel. Das Genre war im Osten immer schon Theater für Erwachsene und nicht wie im Westen Augsburger Puppenkiste, oder?

 


Das hatte man von der Sowjetunion gelernt, staatliche Institutionen zu schaffen, in diesem Fall Staatstheater, um dann die Künstler zu verpflichten, darin als Ensemble zu spielen. Man wollte die freien Puppenspieler von der Straße bekommen. 

 

Um sie zu kontrollieren?

 


Genau. Trotzdem ist verrückt, dass aus diesem politischen Akt etwas ganz anderes erwachsen ist. Nämlich dass sich Puppentheater etabliert und emanzipiert hat. Plötzlich gab es Erwachsenenspielpläne, große Stoffe wurden gespielt. Es wurde eine staatliche Hochschule reklamiert, an der bis heute Puppenspiel akademisch unterrichtet wird. 

 

Sie meinen die »Ernst Busch« in Berlin, an der Sie studiert haben?

 


Ja, und ich bin tatsächlich nur zum Puppenspiel gekommen, weil es in Halle ein staatliches Puppentheater gab. Ich hab diese Kunstform nicht immer gemocht. Nach dem Studium habe ich es auch richtig gehasst, aber es hält mich fest. Das liegt daran, was ich als Kind im Theater gesehen habe. 

 

Ihre Spezialität als Regisseur ist es, Menschen und Puppen auf der Bühne zusammenzubringen. Warum brauchen Sie überhaupt Menschen?

 


Für mich sind Puppenspiel und Schauspiel Ausdrucksmittel, die konstruiert sind. Einteilungen in Genres interessieren mich weniger. Ich versuche den Unterschied zwischen Puppe und Mensch zu nivellieren. Mich interessiert der Widerspruch, wenn sich das eine versucht mit dem anderen zu vertragen.

 

In Kafkas »Amerika« hatten Sie den Karl mit einer winzigen Puppe besetzt. Später beim Applaus hat man den kleinen Kerl richtig vermisst. Woher rührt diese seltsame Faszination?

 


Wenn eine Puppe auf der Bühne steht, dann ist sie einfach da. Komischerweise akzeptiert das jeder. Ich kann behaupten, das ist Sven Müller aus Köln, 33 Jahre alt. Jeder glaubt das. Dass ist für den Schauspieler anders. Er muss sich seine Akzeptanz Stück für Stück erarbeiten. Man sieht den Schauspieler, der Sven Müller spielt. Man hat also einen zweiten Menschen, für den man sich interessiert. Andersrum werden Puppen aber schnell langweilig, weil sie keine zweite Ebene haben. Menschen sehe ich nach vier Stunden anders an. Puppen bleiben immer so wie sie sind. 

 

 

Faust II, A: Johann Wolfgang Goethe,
R: Moritz Sostmann, 8. (P), 9., 15., 17., 29.4., Depot 2, 20 Uhr