"Schussfolge/Schlussfolge", 1976, Foto: VG Bild-Kunst, courtesy Galerie Thomas Zandern

»Ich bin nicht mit Dauersubversion beschäftigt«

Seine wilden Auftritte haben ihn berühmt gemacht. Dass der Medienkünstler Jürgen Klauke immer auch vor allem gemalt und gezeichnet hat, zeigt eine Schau in Brühl

Wie sehr das Ach-so-tolerante-Köln in den 70er und 80er Jahren mit Spießertum zu tun hatte, spiegelt die lustvoll tabubrechende Kunst von Jürgen Klauke. Der Zerrspiegel, den der Künstler in obszönen, bisweilen karnevalistisch anmutenden Fotoinszenierungen, bis auf Reizwäsche nackt und mit einer Mitra auf dem Kopf, dem Betrachter vorhält, galt allerdings nicht nur dem Heiligen Köln.

 

Klaukes lässig unterkühlte Posen vor der Kamera, die ihn zum Pionier der Performance und Body Art machten, präparieren Symptome der Wirklichkeit heraus: sexuelle Identität, Geschlechterdifferenz, vor allem der menschliche Körper. Fast immer mittig zentriert und ohne überflüssige Requisiten, halten diese lichtdramaturgisch ausgeklügelt inszenierten Fotografien die Momente seines Rollenspiels fest. Klaukes Auftritte im Alltag der selbstbewussten Kunstszene Kölns — meist im Lederoutfit, cool und machohaft, stets zu Exzessen und Anarchie bereit — bei Tag und in etlichen rauchig-rauschigen Roxynächten, sind wohl unvergesslich.

 

Der gebürtige Eifeler, 1943 in Cochem an der Mosel geboren, studierte in den 60er Jahren an der Kölner Werkkunstschule freie Grafik, war enorm produktiv und ist bis heute in der internationalen Fotoszene einflussreich. Fast 15 Jahre, von 1994 bis 2008, hatte Klauke eine Professur für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien inne. Er prägte den Studiengang und viele derjenigen, die bei ihm studierten und sich inzwischen selber einen Namen gemacht haben, darunter Andreas Hirsch, Christian Keinstar, Stefanie Klingemann, Achim Mohné oder Heike Mutter. 

 

Jürgen Klaukes eigene Werke sind heute in nationalen wie internationalen Sammlungen und Museen vertreten, auch das Kölner Museum Ludwig und das Kolumba besitzen etliche Arbeiten von ihm. Dass der heute 74-jährige »intermediäre Aktionist«, wie sich Klauke selbst nennt, parallel zu den oft als Serie konzipierten Selbstinszenierungen und fotografischen Experimenten immer auch zeichnete und malte, dürfte weniger bekannt sein. Wie sehr das zeichnerische und malerische Ouevre andere Dimensionen des Klaukeschen Universums erschließt, erfährt man jetzt im Max-Ernst-Museum. Unter dem lakonischen Titel »Selbstgespräche — Zeichnungen« bietet das beachtliche Konvolut von 400 Arbeiten aus vierzig Jahren dazu erstmalig in diesem Umfang reichlich Gelegenheit.

 

»Wenn man sich für die Freiheit entschieden hat, die man als Künstler aushalten muss«, so Klauke über seine Zeichnungen, »dann bedeutet für mich die Zeichnerei Tage und Wochen im Atelier«. In den zahlreichen »Tageszeichnungen«, die auch in Brühl zu sehen sind, verschmilzt der Künstler Privates mit Öffentlichem. Stets geht es um den Körper, werden Zeichnungen von handschriftlichen Anmerkungen aphoristischer Art begleitet. Neben den filigranen Zeichnungen zwischen Eros und Porno, zwischen Realismus und surrealistischer Verzerrung findet sich die größte Werkgruppe »Ästhetische Paranoia und andere Desaster«. Klauke nennt sie »eine melancholische Arbeit über den Menschen alleine im Raum«. Einsamkeit, die oft Selbstgespräche auslösen mag, ist ein Grundthema in seinen Bildwelten.

 

In seinem tendenziell traditionelleren zeichnerischen und malerischen Werk zeigt Jürgen Klauke — ähnlich wie in der Fotografie — eine große Nähe zur Nicht-Farbe Schwarz, setzt aber auch Farbe ein, »um Ironie und je nach Gemütsverfassung auch Kitsch mitschwingen zu lassen«. Neben freien Zeichnungen, in denen der Wahlkölner »seine Gedanken einfach auf das Papier fallen lässt«, gibt es Vorstudien zu Fotografien, »der Rest passiert im Studio«. Vor allem aber hat Jürgen Klauke geradezu eine Obsession ganze Kladden voll zu zeichnen, gesteht er, nicht nur aus pragmatischen Gründen: »Ich arbeite nicht auf Zetteln, die ich dann in den Papierkorb schmeiße.« Faszinierend in seiner zeichnerischen und grafischen Komplexität ist das faksimilierte Konvolut »Elsass Express« (1973), benannt nach einer Straße in der Kölner Südstadt, wo Klauke einst wohnte. Neben zarten Radierungen umfasst dieser stattliche Band auch die in ihrer Wirkung kräftigeren Heliogravüren von Polaroids mit Klaukes frühen Auftritten. 

 

Apropos damals: Nach den wilden Jahren sowie dem expliziten politischen Impetus seiner frühen Arbeit befragt, meint Jürgen Klauke: »Ich bin nicht mit
Dauersubversion beschäftigt. Die Leute wollen auch nicht immer damit konfrontiert werden.« Die aktuelle Kunst kommentiert er mit der ihm eigenen Trockenheit: »Oberflächenbehandlung, nichts Polarisierendes!«

 

»Jürgen Klauke. Zeichnungen —
Selbstgespräche«, Max Ernst Museum Brühl, Max-Ernst-Allee 1, Brühl,
Di–So 11–18 Uhr, 25.3.–16.7.