»Rassismus keine Bühne bieten«: Proteste gegen einen AfD-Auftritt bei Birlikte 2016; Foto: Martina Goyert

Mandat als Krawallschachtel

Die Rechtspopulisten provozieren die kölsche Toleranz. In der Kölner AfD kann man damit Karriere machen

Roger Beckamp was not amused. 2014 telefonierte der damalige Sprecher der AfD Köln wegen der bevorstehenden Kommunalwahl mit der Stadtrevue und beschwerte sich erstmal. Unter der Überschrift »Gerangel rechtsaußen« hatte unsere Zeitschrift über den neugegründeten Stadtverband der »Alternative für Deutschland« berichtet. Für Beckamp war das unverständlich: In seiner Partei seien Ex-Mitglieder von CDU, FDP oder den Grünen versammelt, für den »rechten Rand« sei kein Platz.

 

Das war vor drei Jahren. Mittlerweile ist der »rechte Rand« in der Mitte der Kölner AfD angekommen — und dabei handelt es sich auch um persönliche Bekannte von Beckamp. Im Oktober 2016 wurde Roland Quinten zum Sprecher des Kreisverbands Köln gewählt. In parteiinternen WhatsApp-Protokollen wird ihm vom Fraktionsvorsitzenden der Rösrather AfD eine »ziemlich kurze Zündschnur« bescheinigt. Zudem habe er »kein Problem« mit der Pro-Bewegung und den Identitären. Im Umfeld der Kölner AfD wird kolportiert, dass er sich als Fan der rechtsextremen British National Party (BNP) bezeichnet. Quinten stammt aus dem rechten Parteiflügel, hat Kontakt zur »Patriotischen Plattform« und war — als 19-Jähriger — in der Jugendorganisation des »Bund freier Bürger« im Saarland aktiv, der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Der Kölner Bezirksverband der Jungen Alternative (JA) wiederum hat im Februar einen Vortrag organisiert, auf dem ein »genuines Staatsvolk« gegen die doppelte Staatsbürgerschaft verteidigt wurde — ein wenig verklausuliertes Bekenntnis zur völkischen Definition deutscher Nationalität. Und Roger Beckamp ist mittlerweile Rechnungsprüfer im Förderverein der rechtsintellektuellen Zeitschrift Tumult aus Dresden, in der Migrationsbewegungen als Gefahr für eine Kultur des Abendlands beschrieben werden.

 

»Der Kölner Kreisverband war eigentlich einer der liberalsten in der AfD«, sagt Thomas Traeder. Als der national-liberale Volkswirt Bernd Lucke im Sommer 2015 entmachtet wurde, schrumpfte der AfD-Kreisverband Köln um ein Drittel auf unter 200 Mitglieder, auf Bezirksebene verlor die Partei vier ihrer sechs Mandatsträger. »Im Jahre 2016 wurde es in der Partei dann immer radikaler«, erzählt -Traeder. Er muss es wissen, denn er war lange dort Mitglied. Schon 2013 ist er in die AfD eingetreten, vorher war der Politikwissenschaftler in Ostwestfalen kommunalpolitisch bei den Grünen aktiv. Die Positionen zur Eurorettung, zum Islam und die Forderung nach einem punktebasierten Einwanderungsrecht haben ihn zum Eintritt in die AfD bewogen. Wie viele Mitglieder der damals jungen Partei rutschte auch Traeder schnell in diverse Ämter: Kreisvorstand, Pressesprecher, Fraktionsreferent und Fraktionsgeschäftsführer der AfD im Rat der Stadt Köln. Zuletzt war er Mitglied und Geschäftsführer der dreiköpfigen AfD-Fraktion im Landschaftsverband Rheinland — bis er im Januar dieses Jahres nach der Dresdner Rede von Björn Höcke aus Protest gegen den Umgang mit antisemitischen Vorfällen die Partei verließ.

 

Einen dieser Vorfälle hat Traeder in seiner eigenen Fraktion im LVR erlebt. Sein Fraktionskollege Günter Weinert aus Neuss hatte im Juni 2016 auf Facebook ein Posting geteilt, in dem Angela Merkel vorgeworfen wurde, Politik für ihre »Judenfreunde« zu betreiben. Traeder und sein anderer Fraktionskollege Ralf Wegener stellten Weinert daraufhin erstmals zur Rede. »Er meinte dann, er habe nicht gelesen, was in dem Eintrag steht und wir haben diese Behauptung erstmal so stehen lassen«, erzählt Traeder. Kurz darauf entdeckte er dann einen selbstgeschriebenen Eintrag Weinerts, in dem dieser Josef Schuster, den Präsidenten des Zentralrats der Juden, beschuldigte, den »Hooton-Plan« umzusetzen — eine Verschwörungstheorie, nach der die USA die Deutschen durch eine Ansiedlung »fremder Völker« eliminieren wollen. Traeder leitete da-raufhin Screenshots der Postings an den Landesvorstand der AfD weiter, der Weinert zum Gespräch bat. »Weinerts Ausrede war, dass die Einträge nicht von ihm seien«, berichtet Traeder. »Die Position des Landesvorstands war: Wir warten ab, da könnte ja was dran sein.«

 

Und hier eröffnet sich eine Dimension der Geschichte, die typisch für die AfD ist: Ideologische Auseinandersetzungen haben auch eine machtpolitische, teils sogar eine persönliche Dimension. Traeders Fraktionskollege Ralf Wegener war Anhänger des national-liberalen Parteiflügels um den Ex-Vorsitzenden Bernd Lucke und zum Zeitpunkt der Vorwürfe gegen Weinert zwar noch Mitglied der LVR-Fraktion, aber nicht mehr der AfD. »Der Landesvorstand wollte deshalb nicht mit uns kommunizieren. Die hatten Angst, dass ein Leck entsteht«, meint Traeder. Schließlich sorgte er selber für das Leck: Er und Wegener schlossen Günter Weinert aus ihrer Fraktion aus und teilten dies per Pressemitteilung mit.

 

Traeger stand dadurch parteiintern unter Beschuss. Der NRW-Parteivorsitzende und Europaabgeordnete Marcus Pretzell rief ihn an und und drohte Traeder am Telefon mit Ordnungsmaßnahmen: »Er hat gesagt, die Screenshots seien nicht antisemitisch und er habe Weinert empfohlen, juristisch gegen mich vorzugehen.« Auch in der Kölner AfD-Fraktion wurde er für das Öffentlichmachen von Weinerts Facebook-Einträgen und seines Rauswurfs kritisiert. »Dort hieß es, ich solle meine Chancen in der Partei wahren und die LVR-Gruppe auflösen.« Der antisemitische Inhalt der Postings sei auch hier kein Thema gewesen. »Da ist bei mir ein Vertrauen in viele Leute verschwunden«, sagt Traeder.

 

Traeders Erlebnisse sind kein Einzelfall in Köln. Im August 2016 war der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann zu Gast bei der AfD in Nippes. Hohmann war 2004 aus der CDU ausgeschlossen worden, weil er in einer Rede von den Juden als »Tätervolk« gesprochen hatte. Mittlerweile ist er auf einem aussichtsreichen Listenplatz der AfD Hessen und wird wohl dem nächsten Bundestag wieder angehören. In Köln zeigte sich Hohmann nicht geläutert. »Die Umdeutung unserer Geschichte ins Negative, ins ewige Schuld-Fegefeuer muss beendet werden«, forderte er. Hohmann sprach von einem »Schuldkomplex«, für den neben den Nürnberger Prozessen und der Entnazifizierung vor allem das Frankfurter Institut für Sozialforschung verantwortlich sei, dessen — größtenteils jüdischen — Mitglieder nach der Flucht in die USA Ende der 40er Jahre nach Deutschland zurückgekehrt waren. Das Institut sei nicht nur an der Ausbreitung des Marxismus beteiligt gewesen, so Hohmann, es habe auch seine ersten Forschungsaufträge in der Nachkriegszeit von den Westalliierten finanziert bekommen. Der Subtext ist eindeutig: Alliierte und Juden oktroyieren den Deutschen bis heute ihre Schuld auf. Hohmanns Rede wurde mit reichlich Applaus bedacht.

 

Als im letzten Sommer der öffentliche Druck zu groß wurde, wurde der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon wegen seiner antisemitischen Schriften von der Parteispitze zum Rücktritt gezwungen. Parteiintern waren diese schon vorher bekannt. Der Antisemitismus ist der wunde Punkt in der Öffentlichkeitsstrategie der AfD, die ansonsten von Schießbefehl bis zum Muslim-Bann jeden Tabubruch nutzt, um sich ins Gespräch zu bringen. 

 

Drei Jahre nach seinem Telefonat mit der Stadtrevue ist Roger Beckamp immer noch nicht amüsiert. Aber anstelle eines kleinen Stadtmagazins ist mittlerweile Oberbürgermeisterin Henriette Reker das Objekt seines Zorns. Sie hatte sich kritisch über den AfD-Parteitag im Kölner Maritim-Hotel geäußert. Die AfD-Fraktion im Rat hat sie per Unterlassungserklärung aufgefordert, dies nicht mehr zu tun. Vertreten wird sie dabei vom Rechtsanwalt Roger Beckamp, der zugleich Fraktionsvorsitzender ist. Nach der Gemeindeordnung ist das nicht erlaubt, weshalb ihm jetzt eine Rüge droht.

 

Der schlampige Umgang mit Regularien ist systematisch für das Desinteresse der Kölner AfD an ernsthafter Ratsarbeit. Kein einziger Antrag der dreiköpfigen AfD-Fraktion ist im Rat jemals auch nur in die Nähe einer Verabschiedung gekommen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen würden die meisten Ratsfraktionen einem AfD-Antrag nicht ihre Stimme geben. Es gibt eine Selbstverpflichtung, keinen Anträgen einer rechtspopulistischen oder rechtsextremen Gruppierung zuzustimmen oder mit ihnen eine entscheidende Mehrheit zu erringen. Allerdings hat die AfD-Fraktion zu den wichtigen Themen der Stadt — der Verkehrsentwicklung, der Wohnungsnot oder der mangelnden Transparenz und Bürgerbeteiligung — in drei Jahren auch keine Impulse geliefert. Stattdessen haben sie im Januar 2016 etwa einen Aufnahmestopp für Geflüchtete gefordert oder in einer Anfrage an die Verwaltung die Existenz des Amts für Gleichstellung in Frage gestellt. Die beiden aktiven Fraktionsmitglieder Roger Beckamp und Jochen Haug sind dafür von ihrer Partei belohnt worden. Im Wahljahr 2017 stehen sie auf sicheren Listenplätzen und werden wohl demnächst als Landtags- beziehungsweise Bundestagsabgeordneter ihr Geld verdienen. In drei Jahren vom Hobby- zum Berufspolitiker — mit Ressentiments macht man hat immer noch am leichtesten Karriere.