Spontaner Protest: Anti-AfD-Flashmob im Maritim; Foto: KVfR

Unerwünschte Gäste - Der AfD-Parteitag in Köln (Teil 2/2)

Seit Wochen formieren sich in Köln die Proteste gegen den Partei­tag

der AfD. Die Rechtspopulisten provozieren die kölsche Toleranz.

Richard Gebhardt wirft einen kritischen Blick auf die Kölschseligkeit der Gegenproteste.

Erfundene Traditionen verpflichten

 

Die Proteste gegen den AfD-Parteitag bestärken das
Selbstbild des toleranten Kölns. Das ist ein Problem.

 

Köln, so wird es seit Jahrzehnten in Reden, Resolutionen oder Liedern postuliert und gesungen, ist tolerant. Ist, wie die Höhner in der inoffiziellen Stadthymne »Viva Colonia« singen, »multikulinarisch« und »multikulturell«, ja sogar »in jeder Hinsicht aktuell — auch sexuell!« Wenn aber die »Alternative für Deutschland« (AfD) am 22. und 23. April im Maritim-Hotel am Heumarkt ihren Bundesparteitag abhält, werden Zehntausende gegen die Versammlung demonstrieren. Das tolerante Köln, so die Appelle von Parteien, Bündnissen oder Karnevalskünstlern, duldet keinen Rechtspopulismus.

 

Proteste gegen die Parteitage der AfD sind bundesweite Routine. In Köln aber steht die populistische Rechte gegen eine mobilisierungsfähige Wir-Identität. Kampagnen wie »Kein Veedel für Rassismus« oder »Kein Kölsch für Nazis« sind Teil der politischen Lokalfolklore — und karnevaleske Kreativität prägt das Bild der großen Demonstrationen. Schon im September 2008 scheiterte der »Anti-Islamisierungskongress« der »Pro-Bewegung« an über 20.000 Gegendemonstranten. Die Höhner lieferten mit Zeilen wie »Die Blockade geht weiter, kein Nazi kommt durch« den Soundtrack. Das gerade gegenüber radikalen Rechten faktisch intolerante Kölner Toleranzgebot wirkt wie ein scheinbarer Widerspruch — und verrät viel über das offizielle Selbstbild der Stadtgesellschaft. 

 

Die AfD hat mit ihrer Wahl des Veranstaltungsortes die Kraftprobe gesucht und schon im Vorfeld eine Niederlage erlitten. Denn die Obsession der Rechtspopulisten, sie seien der legitime Repräsentant des populus, des Volkes oder auch nur dessen »schweigender Mehrheit«, hat sich an der Wirklichkeit blamiert. Nicht nur die antifaschistische Linke hat schon früh die Stimme gegen den Parteitag erhoben. Auch Karnevals-Bands wie Höhner, Bläck Fööss oder Kasalla fanden den Gedanken unerträglich, dass sie während der Session im Maritim-Hotel auf einer Bühne spielen, auf der sich im April auch die Partei des Wutbürgertums einfinden wird. Sie forderten dazu auf, »Arm in Arm« gegen die »menschenverachtende Gesinnung« zu protestieren. Die Hotelleitung des Maritim reagierte unter Druck und erteilte Björn Höcke, dem thüringischen Landesvorsitzenden der AfD, ein bundesweites Hausverbot. Künftig wolle man keine Veranstaltungen der AfD mehr dulden, heißt es zudem in einer Erklärung der Hotelleitung. Ein Punktsieg der Narren gegen die Nationalapokalyptiker von der AfD. 

 

Die selbsternannte »Partei des gesunden Menschenverstandes« hat in der Hochburg der rheinländischen Jecken kein sicheres Hinterland. Politisch ist die Session noch nicht vorbei. Zwar ist der offizielle Protest mitunter Ausdruck eines im Namen der bunten Vielfalt auftretenden Köln-Kitschs, der sämtliche in der städtischen Alltagskultur anzutreffenden Widersprüche stimmungsvoll übertönt. Denn ist die Leitungsebene der Stadtverwaltung tatsächlich interkulturell oder biodeutsch besetzt? Und wie queer oder »bunt« sind die Theaterleitungen oder Intendanzen der Kölner Rundfunkhäuser? Dennoch verkennen die Parteioberen der AfD, dass »unsere« Stadt, frei nach Trude Herr, ihre Heiterkeit durchaus ernst nimmt. Und die AfD verkörpert — gemessen an den prominenten Verlautbarungen in Kultur und Karneval, Presse und Politik — tatsächlich das Gegenbild zur Kölner Toleranzrhetorik,  deren Grenzen man in den Leserbriefspalten der Lokalpresse entdeckt, sobald es um Themen wie die Unterbringung von Geflüchteten geht. Aber die für das Grundsatzprogramm der AfD wesentliche »Islamkritik« konterkariert beispielsweise auch den vielfältigen — und keineswegs widerspruchsfreien — Einsatz für den Bau der Ehrenfelder DITIB-Moschee. Die Zensurwünsche gegen Gender Studies oder die schulische Sexualaufklärung unterlaufen die liberale Haltung, die jedes Jahr beim Cologne Pride manifest wird — »Alaaf op Ruusemondaach un Aloah CSD« lautet der kölsche Toleranzgruß der Höhner. Die Gegner der AfD wissen, dass im Namen des »gesunden Menschenverstandes« immer schon die Normabweichler drangsaliert wurden. Mehr noch: Revisionistische Forderungen nach einer Wende in der deutschen Erinnerungspolitik formulieren in der Partei nicht nur völkische Vertreter wie Björn Höcke. In ihrem Grundsatzprogramm kämpft die AfD gegen die »aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus«. In Höckes Fall ist nur der tremolierende Sportpalasttonfall besonders schrill. Die AfD ist eine Provokation nicht nur für Kölner Politiker, die in Ratssitzungen die »antifaschistischen Traditionen« der Stadt rühmen. 

 

Rechtspopulismus-Experten und antifaschistische Aktivisten verweisen deshalb auf den spezifischen Charakter der sogenannten Alternative für Deutschland. Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler von der FH Düsseldorf nennt die AfD im Gespräch mit der Stadtrevue eine »rechte Wutbürgerpartei«, die durch gemeinsame Feindbilder wie den Euro, den Islam oder das Gender-Mainstreaming zusammengehalten wird: »Die AfD ist ein politisches Chamäleon rechts von den Unionsparteien.« Die Partei — nach seiner Analyse ein durchaus fragiles Bündnis aus Wirtschaftsliberalen und Sozialpopulisten — sei in der Lage, sich durch unterschiedliche Rhetorik etwa in der Sozialpolitik den jeweiligen Wählermilieus anzupassen. Zentral sei die provokative Selbstinszenierung als »Anti-Establishment-Partei«. 

 

Für Peter Trinogga von der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes — Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« (VVN-BdA), ist der »völkische Nationalismus« ein wesentliches Merkmal der AfD. Trinogga warnt davor, die AfD vor allem auf Grundlage ihrer Programme zu bewerten. »Die AfD von heute ist nicht mehr die Professorenpartei, die sie unter Bernd Lucke vielleicht noch war. Sie setzt gerade im Osten verstärkt auf die Straßenmobilisierung einer völkischen Bewegung«, beobachtet er. AfD-Experte Häusler ergänzt: »Der Rechtspopulismus definiert sich nicht zentral über Inhalte, sondern über eine spezifische Form der Wähleransprache und Inszenierung«. Und hier sei neben der Provokationsstrategie die larmoyante Selbstdarstellung als Opfer der politischen Korrektheit zentral: »Ein bezeichnender Slogan des österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider war seinerzeit ’Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist’«. Nach Häusler bleibt dieser Satz ein Leitmotiv der Inszenierung der Rechtspopulisten als politische Dissidenten. Und während Höckes völkischer Furor beispielsweise bei der Dresdener Rede über das »Mahnmal der Schande« von Rufen wie »Abschieben! Abschieben!« flankiert wird, erschallt auf den Straßen der vielsagende Ruf »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen«. Hier zeigt sich das quasi-totalitäre Potenzial des rechten Populismus: Wer sich als die »wahre« Stimme eines fiktiven homogenen Volkes präsentiert, zielt auf Ausschluss der Gegner. 

 

Alexander Häusler sieht die AfD auch nach dem Essener Parteitag im Juli 2015, der zur Trennung vom Lucke-Flügel führte, weiterhin in einem Machtkampf. Im nordrhein-westfälischen Landesverband verläuft dieser entlang der Auseinandersetzung zwischen den beiden »Parteisprecher« genannten Kontrahenten Marcus Pretzell, seines Zeichens Europaabgeordneter und Ehemann von Bundessprecherin Frauke Petry sowie Martin E. Renner. Der weitgehend unbekannte Renner, Kopf eines parteiinternen Kreises mit dem närrischen Namen »Konservative Avantgarde«, konnte sich bei der Nominierung zu den Bundestagswahlen gegen Pretzells erbitterten Widerstand durchsetzen. Renners Zirkel steht für einen Kulturkampf gegen den gesellschaftspolitischen Liberalismus. Ideenpolitische Quelle ist die »Konservative Revolution« der Weimarer Republik, zu der Denker wie der Staatsrechtler Carl Schmitt oder der Philosoph Oswald Spengler gezählt werden. Renners Passion ist der Kampf gegen den »Untergang des Abendlandes«, die »Flüchtlingskrise« gilt ihm als dessen Vorbote. Den Kampf gegen die »Umerziehung« oder die »neomarxistische Frankfurter Schule« hat sich auch Renner auf die Fahne geschrieben. Der Tonfall des führenden Bundestagskandidaten der AfD in Nordrhein-Westfalen entspricht dem Duktus der alten und neuen Rechten jenseits der Union. Ansonsten unterscheidet sich der eher dröge dozierende Renner nur habituell von einem rabiaten Rhetor wie Höcke, der seinen Identitätspopulismus marktschreierisch zur Schau stellt. Der Schlagabtausch zwischen Renner und Pretzell trug in den letzten Monaten skurrile Züge. Differenzen hat die Führung der NRW-AfD etwa auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Pretzell kooperiert auf europäischer Ebene mit dem »Front National« (FN), den der Marktapologet Renner als »sozialistisch« schmäht.  Und da die AfD in ihren Flügelkämpfen Königsmörderdramen im Stil des Quatsch-Comedy-Clubs aufzuführen pflegt, staunen selbst Insider über die bizarren Verdächtigungen, die nicht nur in NRW ausgesprochen werden. In einem Porträt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den saarländischen Landesvorsitzenden Josef Dörr wird etwa vermerkt, dass dieser gegenüber Parteifreunden über die Gerüchte sinnierte, Frauke Petry könne eine »amerikanische Agentin« sein. Auch in den Führungsetagen der AfD gelten durchs Internet flottierende alternative Fakten oft als belastbar. 

 

Fände der paranoide Stil des rechten Populismus nicht einen derartigen Zuspruch, spätere Zeithistoriker müssten die Geschichte der AfD als Politsatire schreiben. Dass eine Partei mit Strömungen, die Namen wie »Patriotische Plattform« oder »Der Flügel« tragen, zweistellige Wahlergebnisse erzielt, verdeutlicht die Polarisierung der Bundesrepublik Deutschland. Politiker wie Pretzell oder Renner stehen in scharfer Opposition zur Rhetorik der »Weltoffenheit« oder »Vielfalt«, die etwa in der Protestresolution des Kölner Rates vom Februar 2017 gepriesen wird. Die AfD gilt der Lokalpolitik als Anti-Köln-Partei. Ihr Rechtspopulismus richtet sich auch gegen die städtischen Verlautbarungen des politisch und kulturell Erwünschten. Schließlich lebt die Partei von Stimmungen, die in der Redewendung »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!« manifest werden. Gerade diese Klage dürfte der hiesigen Parteiklientel angesichts der Kölner Konsensrhetorik wohl besonders einleuchten.

 

 Dass gegen derartige Reaktionäre gerade in Köln mobilisiert werden kann, liegt nicht nur an der hiesigen Sozialstruktur, sondern auch an der — zum Teil schlicht erfundenen — antifaschistischen Tradition der Stadt. Zum einen verfügt die Uni- und Medienstadt in der Tat über ebenso unterschiedliche wie effektive Initiativen sowie städtische und zivilgesellschaftliche Netzwerke. Das NS-Dokumentationszentrum bietet umfassende Informationsangebote auch zu den modernen Nazis. »Köln gegen rechts« mobilisiert im Rahmen der Kampagne »Solidarität statt Hetze« aktuell bundesweit gegen den Parteitag der AfD. Das Bündnis betont griffig den Charakter der Partei: »Es gibt viele Höckes in der AfD«. Und vom 1983 entstandenen »Kölner Appell« über die »AG Arsch huh« oder das Bündnis »Köln stellt sich quer« bis hin zum Protest der lokalen Künstler und Karnevalisten existiert eine besondere politische Kultur, in der Antifaschismus als Teil der Brauchtumspflege gilt. Deutlich wird dies an der kleinen Kulturrevolution, die vor Jahren auf den Bühnen des Karnevals begann und die politische Landschaft prägt. Die Bläck Fööss haben das von Rolly Brings getextete Lied »Edelweißpiraten« schon 1983 gesungen und verteidigt, als es in Köln noch massive Vorbehalte gegen die Widerstandsgruppe gab. Heute wiederum spielen nicht nur Bands wie Kasalla Mundartstücke wie »Mir sin eins«, die ein antirassistisches »Wir« feiern. Aber die Wir-Rhetorik verklärt auch die Realität: Tatsächlich hat das tolerant gesinnte Kölner Kulturbürgertum sein Zentrum nicht in den Außenbezirken, seine Anhänger beziehen wohl selten Wohngeld. Und auch wenn sich die Interkultur der Kölner Einwanderungsgesellschaft weder bei den Bandbesetzungen noch im Saalpublikum adäquat widerspiegelt, wird im lokalen Liedgut zu allen Jahreszeiten die multikulturelle Toleranz der Stadt besungen. Deren antifaschistisches Credo formulierte Tommy Engel, indem er seinen Klassiker »Du bes Kölle« im Dezember 2014 für die Demonstration »Du bes Kölle — Kein Nazis he op unser Plätz« anlassbezogen änderte: »Du bes Kölle — Du bes super tolerant, nur dä Nazis jevve mir he nit de Hand«. 

 

Aber obwohl von den Bläck Fööss bis hin zur Stunksitzung immer auch Kritik an den Lebenslügen der Stadt laut wurde, setzt sich meist ein Protest im Namen eines ambivalenten kölschen Jeföhls durch. Diese Stammbaumromantik wirkt so sinnig wie ein »Kölsch Bloot«-Ladenstand auf dem Birliktefest. Ohnehin ist Köln eine Stadt, in der sich gegen jede historische Evidenz über Jahrzehnte der Mythos vom Widerstand durch Kirche, Zentrumspartei und Karneval hielt. Manche Erzählung am Familientisch klang noch in den 80er Jahren so, als hätte Konrad Adenauer zusammen mit dem Dreigestirn und dem Elferrat die Nazis am 11.11.1933 aus der Stadt geschunkelt. Mitunter jedoch scheint es, als hätte die Stadt das autosuggestive Mantra »Wir waren im Widerstand« so oft wiederholt, dass es die gegenwärtigen Demonstrationsaufrufe geradezu befeuert. Auch die erfundene Tradition verpflichtet — und dadurch wird der Widerstandsmythos praktisch wirksam. 

 

Wer jedoch offensiv gegen populistische Losungen — die von Horst Seehofer bis Oskar Lafontaine nicht nur auf die AfD beschränkt sind — mobilisieren will, muss die Fallstricke auch der »antifaschistischen« Kölschtümelei bedenken. Der 2007 verstorbene ehemalige Stadtrevue-Musik-redak-teur und Spex-Mitbegründer Gerald Hündgen argumentierte bereits nach der »Arsch-huh«-Demonstration am 9. November 1992 gegen eine »gefährliche Gefühlsseligkeit, die die Rechten ausgerechnet auf dem Terrain der Heimatliebe und Volksverbundenheit besiegen will«.  Der Kabarettist Jürgen Becker, spitzte diesen Gedanken 2014 polemisch zu: »Könnte es vielleicht sein, dass die Lobeshymnen ’op Kölle, du ming Stadt am Ring’ denen so munden, die Kölle über alles lieben, weil sie ’Deutschland, Deutschland über alles nicht’ mehr singen dürfen?« Der vielfältige Protest gegen den Kölner Parteitag der AfD ist ein großer Erfolg. Aber für die Zeit danach sollte man reaktionäre Ideologien nicht mit einer Lokalfolklore bekämpfen, die die sozialen Gegensätze Kölns übertüncht.

 

 

Richard Gebhardt ist Publizist und arbeitet in der politischen Bildung in Köln und Aachen. Er beobachtet seine Wahlheimat  von der »Schäl Sick« aus