Der Meister, abgestiegen

Frei nach Loriot: Früher war mehr Waldmeister. Nun hat er zwar wieder Saison. Doch der Meister ist nur von einem weiteren Abstieg bedroht.

 

Viel Aufhebens wird in Food-Blogs und Kulinarik-Magazinen um Kräuter gemacht. Man streut sie wahllos auf alles. Den Waldmeister aber verschmäht man. Der Imageschaden rührt noch von der Götterspeise (die eher des Teufels ist), die mit Lebensmittelfarbe und natur­identischem Aroma den Ruf des Waldmeisters ramponiert. Im kulinarisch traditionell hemdsärmeligen Berlin hält das niemanden ab, mit jenem Industrie-Aroma zuverlässig Weißbier ungenießbar zu machen — und es als Spezialität anzupreisen.

 

Dass uns der Waldmeister fast nur noch als künstliches Aroma begegnet, liegt am Gesetzgeber, der sich beim Verbraucherschutz gern auf Details kapriziert, anstatt das große Ganze in den Blick zu nehmen: Wegen des im echten Waldmeis­ter enthaltenen Kumarins gilt er — ähnlich der Tonkabohne in der Crème brûlée und dem Zimt im Gebäck — als giftig: Kopf- und Bauchweh drohen. Gerade ­Kinder sollten vor Waldmeister geschützt werden — derweil man sie sich mit Energy Drinks ruinieren lässt. Waldmeister ist in der Industrie bloß noch als lebensmittelchemische Parodie zulässig. Den echten Waldmeis­ter trifft man noch im Restaurant, aber auch dort nur zum Nachtisch, als Sorbet oder Creme. Im Hauptgang taucht er fast nie auf, obgleich er Gerichten eine interessante Nuance verleihen kann, etwa in einer Sauce Hollandaise. Weil der süßliche, heuartige Geschmack des Waldmeisters aber leicht andere Aromen überdeckt, muss man in der Küche noch mehr Sorgfalt walten lassen als ohnehin.

 

Zwar soll es in Österreich einen Waldmeisterbraten geben, für den man das Rindfleisch zu­vor im Kraut mit Essig und Weißwein mariniert. Aber dessen Prominenz ist regional. Gleiches gilt für den ähnlich konzipierten Pfälzer Maibraten. Wer als Hobby-­Koch mit Waldmeis­ter experimentieren will, kann aus ihm Öl oder Sirup herstellen. In Saucen und Salaten ergibt das eine ange­nehme Irritation der Er­war­tun­gen. Um den Ge­schmack kennen­zulernen, eignet sich derzeit eine Maibowle: In ein Gemisch aus Sekt, Weißwein und Wasser tunkt man für eine Viertelstunde Blätter, die schon einige Stunden gewelkt haben. Auf den Liter sollten es bloß drei, vier Gramm sein. Aber wenn anderntags der Schädel brummt, könnte das auch am Alkohol liegen und nicht am Kumarin.