Bleibt dort, wo es nicht ganz so weh tut: Rachel Kushner, Foto: Chloe Aftel

Im Herzen Hippie

Rachel Kushner schreibt an der Gegengeschichte Amerikas

»Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit«, schrieb Filippo Tommaso Marinetti im futuristischen Manifest von 1909. Auch wenn die Futuristen in Rachel Kushners »Flammenwerfer« nur eine Nebenrolle spielen, fordert auch der 2013 erschienene Roman die Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Lebenspraxis, und wurde dafür vom Feuilleton gefeiert. Die Story um Motorradrennen, Anarchismus und die Konzeptkünstlerin Reno, die in den 70er Jahren aus der Provinz nach Manhattan zieht, sucht Momente, in denen Kunst als revolutionäre Kraft auftritt. Mal wird sie durch Banken ausraubende New Yorker Motorradrocker-Künstler verkörpert, mal durch den legendären italienischen Verleger Feltrinelli.

 

»Flammenwerfer« wurde als Neuerfindung der politischen Literatur gefeiert, was sich die 1968 geborene Autorin gerne gefallen lässt. In Interviews tut sie ihre Sympathien für die Occupy-Bewegung kund und sieht im Manifest »Der kommende Aufstand« die einzig relevante Literatur der Gegenwart. Auch Kushners Leben wirkt wie die Suche nach einer Form, das Hippie-Leben ihrer Eltern im bunt bemalten Van irgendwo zwischen Oregon und San Francisco, zwischen Demo, feministischer Buchhandlung und Wissenschaft, in die Gegenwart zu übertragen. Kushner hat mit 18 Jahren in Italien nach den Spuren der revolutionären 70er Jahre gesucht und in New York kreatives Schreiben bei Jonathan Franzen studiert. Mit ihrer Protagonistin Reno teilt sie die Liebe zu schnellen Motor­rädern und die Faszination für die Verknüpfung von Kunst und radikaler Politik; Kushners Erstling »Telex aus Kuba« ließ Che Guevara, Raúl und Fidel Castro die kubanische Revolution als literarische Figuren noch einmal durchleben.

 

Doch auch die Kunst hat für Kushner ihre Grenzen: Als eine von sechs Autoren blieb sie 2015 einer PEN-Gala in New York fern, bei der Charlie Hebdo drei Monate nach dem Attentat ausgezeichnet wurde. Sie warf dem Magazin ­»kulturelle Intoleranz« vor. Kushner selbst verbleibt mit ihrem politischen Beitrag zum Weltgeschehen lieber dort, wo es nicht ganz so weh tut. Dort, wo die Kunst dann doch nur Literatur bleibt.


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Lesung: Mi, 17.5., Literaturhaus, 19.30 Uhr