»What are you afraid of?«

Ein Jahr nach dem vom Publikum erzwungenen Abbruch seines Konzertes hat Mahan Esfahani erneut in der Philharmonie gespielt. Eine anschließende Musik-Installation demonstrierte Solidarität mit dem iranischen Musiker.

Die Worte klingen eindringlich, fast flehentlich. »Wenn Ihnen das folgende Stück nicht schmeckt«, sagt Mahan Esfahani während seines Konzerts am Aschermittwoch in der Kölner Philharmonie. »dann lassen Sie es mich bitte trotzdem in Frieden spielen«. Das Publikum applaudiert und folgt dem Wunsch des iranischen Cembalisten, die »Piano Phase« des US-Komponisten Steve Reich diesmal ungestört ins Werk setzen zu können. Das war fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor noch ganz anders. Da gab es am selben Ort Tumulte, als Esfahani das minimalistische Stück aus dem Jahr 1967 darbot, bei dem aus wenigen Tönen bestehende, sich rasch wiederholende Tonfolgen in unterschiedlichen Tempi allmählich auseinanderlaufen und so Spannung erzeugen.

 

Nicht wenige Zuhörer hielten das offenkundig für einen unzumutbaren Anschlag auf ihre Hörgewohnheiten, sie klatschten höhnisch, riefen »Aufhören!« oder -verließen gar den Saal. Nach vier Minuten brach der 1984 in Teheran geborene Musiker die eigentlich
16 Minuten dauernde »Piano Phase« ab und rief konsterniert: »What are you afraid of?«, wovor haben Sie Angst? Aus dem Publikum tönte es daraufhin brüsk zurück: »Reden Sie doch gefälligst Deutsch!«

 

Der Eklat schlug hohe Wellen. Vor allem in den Medien und den sozialen Netzwerken war die Empörung über die ungehobelten Konzertstörer groß, viele sahen rassistische Motive am Werk. Auch Esfahani selbst reagierte schockiert und sprach von »einem Pandämonium, wie ich es in einem Konzertsaal für klassische Musik noch nie erlebt habe«. Der Veranstalter Concerto Köln lud den Cembalisten umgehend erneut ein, schon um die Peinlichkeit vergessen zu machen, für die bornierte Bildungsbürger gesorgt hatten.

 

Beim zweiten Anlauf am 1. März geht alles gut, das Publikum lässt Esfahani die »Piano Phase« zu Ende spielen. Doch vergessen sind die Feindseligkeiten vor einem Jahr damit nicht, dafür sorgt schon eine Kunstaktion nach dem Konzert-ende auf der Treppe gleich neben dem Eingang zur Philharmonie. Auf einem Plateau haben mehrere Männer und Frauen drei Plattenspieler, ein Mischpult und zwei Boxen aufgebaut, zu hören ist in veritabler Lautstärke und einer Endlosschleife noch einmal Reichs »Piano Phase«, unterlegt mit Ausschnitten aus einem kritischen Statement, das Esfahani am Tag nach dem Konzertabbruch vor einem Jahr auf einem großen britischen Klassik-Webportal hinterlassen hatte. Die zentrale, beständig wiederholte Frage des Musikers — »What are you afraid of?« — läuft zusätzlich auf zwei Tonspuren ähnlich auseinander wie Reichs Stück.

 

Durch virtuoses Bedienen des Mischpults und der Plattenteller werden die einzelnen Bestandteile der Komposition immer wieder neu und anders zusammengemischt, das daraus resultierende Ergebnis ist fulminant. Die Open-Air-Installation wirkt gleicher-maßen als eindringliche Anklage gegen das Wüten der vermeintlichen Kulturbürger wie als deutliches Plädoyer für Moderne, Avantgarde und Weltoffenheit. Die Idee dazu hatte die Kölnerin Ronja Bader, die in Düsseldorf den Masterstudiengang Kultur, Ästhetik und Medien belegt hat. Als Esfahanis Konzert abgebrochen wurde und klar war, dass es eine Wiederholung geben würde, arbeitete sie gerade an der Jungen Akademie der Künste der Welt. Dort entwickelte sie ihren Plan für die Aktion.

 

»Das erste Konzert von Esfahani fiel in eine Phase, in der viel über Pegida diskutiert wurde und über eine ›Flüchtlingswelle‹, die uns angeblich überrollt und unsere Privilegien streitig macht«, sagt Bader. Die heftige Reaktion der Zuhörer in der Philharmonie hat sie in diesem Kontext gesehen. Sie ist überzeugt, dass »vieles von dem, was eine positive Entwicklung der Gesellschaft gefährdet, auf einer teilweise unbewussten Angst basiert«, einer Angst vor dem Fremden und Neuen, die zu Aggressivität und Hass führe — auch und gerade bei einem konservativen, scheinbar distinguierten Publikum. Es sei wichtig, die Gründe für diese Angst herauszufinden — so, wie es Esfahani mit seiner Frage »What are you afraid of?« versucht habe.

 

Die 28-Jährige hat diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Installation gestellt und sich für die Verwirklichung Mitstreiter gesucht, vor allem Freunde aus der Künstler- und Partyszene, die sowohl über Erfahrung mit dieser Aktionsform als auch über das technische Equipment verfügen. Magnus Wabner ist einer davon. »Die Leute haben sich verhalten, als sei das Stück ein Angriff auf sie persönlich«, resümiert der Produktdesign-student die Vorfälle Ende Februar 2016. In der Philharmonie habe sich ein regelrechter Mob formiert. »Und ich glaube, das hängt auch mit der Stimmung zusammen, die es zu der Zeit im Land gab. So nach dem Motto: Endlich dürfen wir uns mal zusammenrotten.« So sei es schließlich dazu gekommen, dass Esfahani wegen seiner Musik und seiner Herkunft als Feindbild ausgemacht und angegriffen wurde.

 

Dem setzte Ronja Bader im Verbund mit ihren Helfern eine Aktion entgegen, die Partei für Esfahani ergriff und sich gleichzeitig als Beitrag zum Dialog verstand, um den Ängsten zu begegnen und eine Annäherung an Neues und Fremdes zu ermöglichen. Die damit verbundene Gelegenheit, sich selbst an Mischpult und Platten-teller zu versuchen, nutzten allerdings nur wenige — »wahrscheinlich, weil unsere Leute so viel Geübtheit ausgestrahlt haben, dass sich manche nicht getraut haben«, wie Bader vermutet. Einer derje-nigen, die es doch taten, war Mahan Esfahani selbst. Er zeigte sich zudem sichtlich beeindruckt von der Installation, die nach den unheilvollen Ereignissen ein Jahr zuvor nicht zuletzt ein Akt der So-lidarität mit ihm war.