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von Marco Trovatello (Twitter @marco_t)

Das Adjektiv »umtriebig« reicht kaum aus, um die Vielfalt der Projekte von Zach Bridier aka →Captive Portal aus Chicago adäquat zu beschreiben. Hört man seine EP »Music is Telephone« (La Bel Net-label), hat man augenblicklich ziemlich hohe Erwartungen. Eingespielt wurde sie mit einer Akustikgitarre — nichts mehr. Okay, mithilfe einer Loopstation oder Recording-Software werden Riffs und Klänge geschichtet. Jedoch geben seine klugen, minimalen Arrangements und die tolle, unprätentiöse Gitarrenkorpus-Perkussion den Tracks eine Aura und Tiefe, die man sonst nur von Indie-Helden wie FS Blumm kennt. Zachs Credo: »All sounds are original. No software synths and no audio from third parties were used in this recording« — und das gilt auch für seine vor kurzem erschienene erste LP →»Having A VHS For A Leg« (Zap Records & Mahorka). 

 

Voller Erwartung höre ich sie mir an — und will nach zwei Tracks aufgeben. Enigma, Michael Cretu & Sandra ... mit derart schlimmem Eurotrash (Panflöten und 80ies-Sequencing!) geht es los, doch ich höre weiter und langsam erschließt sich mir der Humor: Die Musik kippt in Richtung Lo-Fi-Casio-Trash, bevor sie in (nur scheinbar) beliebige, multi-instrumentale Dilettantismus-Eskapaden mündet. Das wird noch richtig spannend. Welche bekloppte Idee wird Bridier als nächstes verfolgen? -HipHop mit Banjo, improvisierter Ambient und instrumentaler Analogsynth-Weirdo-Rock, potenzielle Game-Soundtracks, Sample-Overkill, Slap-Bässe und Funk-Gitarren. Dada! Am Ende mit »What’s More, Once More« ein wunderbar eingängiger Poptrack, Länge: zehn Minuten! Hier herrscht DIY-Anarchie und Willkürlichkeit als musikalisches Prinzip. 

 

Ich bin immer noch verwirrt und frage nach: »Beliebigkeit und DIY sind tatsächlich wichtige Komponenten meiner Musik«, antwortet mir Zach. »Außerdem mache ich gerne Sachen, die ich noch nie -vorher gemacht habe, das war zum Beispiel bei der ›Music is Telephone‹-EP der Fall.«

 

Gut, dass ich’s durchgehört habe, wir hätten was verpasst. Das alles und mehr, zum Beispiel die Projekte much, (Electronica/Pop, mit Komma!), Sebon (Experimental/Glitch) sowie Sitting & Laying (Field Recordings), hört und ladet ihr hier: captiveportalmusic.com zaprecords84.bandcamp.com — alles frei. Außerdem noch →dieses tolle Produktionsvideo gucken bitte.

 

Zum Schluss müssen wir noch über Matthew Herbert, sein geplantes, drittes Big Band-Album und den Brexit Sound Swap reden: Am 29. März, also dem Tag, an dem die Britische Regierung Artikel 50 des Lissaboner Vertrags aktiviert hat, aktivierte der Musiker seinerseits die Plattform brexitsoundswap.eu. »In einem zunehmend geteilten politischen Klima, in dem Toleranz und Kreativität bedroht sind, ist es an der Zeit (...), in Solidarität mit unseren nächsten, aber in Zukunft weniger zugänglichen Freunden in Kontakt zu bleiben«, schreibt Herbert in seinem Blog und fordert die Community dazu auf, Creative-Commons-lizenzierte, freie und remixbare Sounds für sein Projekt Brexit Big Band beizusteuern, »for the free movement of music across borders«: Wer etwas hochlädt, bekommt alle bisher aufgenommenen Sounds zurück — und wird womöglich Teil von Herberts nächstem Album, das seine Premiere wohl wann feiert? 2019, und zwar in genau der Sekunde, in der Großbritannien die EU verlassen wird.