Das Leben ist eine Baustelle

Mike Mills findet in Jahrhundertfrauen die großen Themen im Kleinen

»Jahrhundertfrauen« sind die Protagonistinnen von Mike Mills 1979 spielendem dritten Langfilm sicher nicht. Es sind »Frauen des 20. Jahrhunderts«, wie der Originaltitel nüchtern feststellt: »20th Century Women«. Also keine genialen Wissenschaftlerinnen, Unternehmerinnen oder Sportlerinnen, sondern fehlbare Wesen, die trotz ihrer Exzentrik auch ihre jeweilige Generation repräsentieren, den Zeitgeist verkörpern. 

 

Dorothea (Annette Bening) ist Mitte 50 und lebt mit ihrem 15 Jahre alten Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) in einer im ewigen Renovierungszustand befindlichen alten Villa nördlich von Los Angeles. Von Jamies Vater ist die resolute, eigenwillige Dorothea schon lange geschieden. Jetzt, wo Jamie in die Pubertät kommt, fühlt sie sich aber überfordert mit der Mutterrolle. Sie versteht seine Lust, Grenzen auszutesten nicht, die Musik, die er hört, seine neue Launigkeit. Da Jamie mit Männern scheinbar nicht viel anfangen kann, bittet Dorothea zwei jüngere Frauen, ihr zu helfen. Da ist zum einen die Mittzwanzigerin Abbie (Greta Gerwig), die zur Untermiete wohnt, eine Fotografin, die mit Jamie eine Leidenschaft für Punk und New Wave teilt. Und dann die 17-jährige Julie (Elle Fanning), Jamies heimliche Liebe, die ständig bei ihm schläft, ihn aber nur als besten Freund sieht.

 

»Jahrhunderfrauen« aber als Film zu beschreiben, der lediglich davon handelt, was passiert, wenn drei Frauen einen Jungen aufziehen, würde viel zu kurz greifen. Mike Mills’ erzählt in kurzen Rück- und Vorblenden ebenso die kompletten Lebensgeschichten seiner Protagonisten, zu denen auch noch ein zweiter Untermieter gehört, der Handwerker und Althippie William (Billy Crudup). Diese bettet er über dokumentarische Fotos in die reale Zeitgeschichte ein.

 

Was leicht zu einer Überfrachtung hätte führen können oder zu einem pädagogisch bevormundendem Lehrstück, wird bei Mills zu einem komplexen Drama, das im Kleinen das Große findet. Pathetischer formuliert: »20th Century Women« handelt von nichts und allem — vom Leben selbst, seiner Banalität und Einzigartigkeit, seiner Tragik und Schönheit. Dass das gelingt, liegt nicht nur an Mills’ intelligentem Drehbuch, sondern auch an den Darstellerinnen, allen voran an Annette Bening. Sie lässt der Dorothea, trotz aller Psychologisierungen im Skript, einen guten Rest von Unberechenbarkeit und Geheimnis.

 

Jahrhundertfrauen (20th Century Women) USA 2016, R: Mike Mills,
D: Annette Bening, Greta Gerwig,
Elle Fanning, 119 Min. Start: 18.5.