Nuran David Calis: »Istanbul«

Direkt nach dem Putschversuch, erzählt Regisseur Nuran David Calis, wurden in der Kölner Keupstraße auf Facebook schon die Restaurants markiert, die von angeblichen Gülen-Anhängern geführt wurden. Seitdem haben sich die Ereignisse in der Türkei überschlagen und die Spannungen in der türkischen Community von Deutschland nur noch zugenommen. Schon zum dritten Mal inszeniert Calis, selbst Kind von aus der Türkei eingewanderten Eltern, mit Bewohnern der Keupstraße und Schauspielern einen politischen Theaterabend. Diesmal geht es weder um NSU noch um Glauben, sondern um ein noch viel stärker aufgeladenes Thema: Wo verlaufen die Spaltungen zwischen Deutschen und Türken, wo in der türkischen Community — und wie verträgt sich ihr romantisch verklärtes Istanbul-Bild mit der realen staatlichen Gewalt in der Türkei?

 

Eindringliches Zeugnis davon gibt auf der Bühne auch Schriftsteller Doğan Akhanlı, der in der Türkei mehrfach inhaftiert und gefoltert wurde und seit 1992 in Köln lebt. Achtzig bis neunzig Prozent der Keupstraßen-Anwohner, so Calis, sympathisierten mit der AKP, in ungeahnter Weise verschlössen sie sich zurzeit gegenüber der deutschen Gesellschaft und kultivierten sowohl Opfer-Mythos als auch ein irreales Heldenbild Erdogans.

 

Ein Wunder fast, dass in »Istanbul« erneut die drei Keupstraßen-Geschäftsleute Kutlu Yurtseven, Ayfer Şentürk Demir und Ismet Büyük ihre Ansichten teilen, ermöglicht durch das langjährige Vertrauensverhältnis zwischen Calis, Keupstraße und Kölner Schauspiel. Dennoch komme es bei den Proben oft zu Spannungen, so Calis. »Die wichtigste Regel bei uns ist: Halte die Meinung des anderen aus«. Ihre Konfrontation mit Folteropfer Akhanlı setze auf der Bühne »ganz neue Gesprächsenergien« frei.

 

Davon, wie groß die Agonie der türkischen Jugend nach dem Putschversuch dagegen ist, konnte sich Calis, der zweisprachig aufgewachsen ist, zuletzt selbst überzeugen: kurz vorher verbrachte er mehrere Monate in Istanbul. »Die Hälfte der Bevölkerung dort ist unter 30. Da wuchs eine überwältigende demokratische Kraft heran —
sie wurden kalt erwischt«.

 

»Istanbul«, R: Nuran David Calis,
13. (P), 16., 30.5., Depot 2, 20 Uhr