Karges Reisegepäck

Bilder deiner großen Liebe entwickelt starke Szenen für das, was zwischen Welt und Tod liegt

Düster und leer ist der Bühnenraum, in dem sich die Schauspieler bewegen: Alrun Hofert ist Isa, das 14-Jährige Mädchen aus dem Müll. Verrückt, aber nicht bescheuert, worauf sie besteht. Ihr zur Seite steht Michael Witte, der als Schöpfer dieses verlorenen Mädchens in Gestalt des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf mit von der Partie ist. Mitunter spricht er auch ihren Text und verkörpert später alle weiter auftretenden Personen, denen Isa, ausgebrochen aus der Jugendpsychiatrie, auf ihrer meist nächtlichen Reise durch Deutschland begegnet.

 

Ist sie in »Tschick« noch eine geheimnisvolle Randfigur und Katalysator für die Entwicklung der herumstromernden Teenager Maik und Tschick, wird sie in Herrndorfs letztem Romanfragment »Bilder deiner großen Liebe« zur Protagonistin einer schonungslosen und deshalb so anrührenden Auseinandersetzung mit Welt und Tod. »Herrscherin über das Universum, die Planeten und alles andere«, so sieht sie sich selbst, wenn sie den Lauf der Sonne mit ihrem kleinen Finger zu lenken vermag. Doch in ihrem kargen Reisegepäck, das sie barfüßig bei sich trägt, befinden sich auch zwei Tabletten für den Notfall, wenn ihr wieder ein psychotischer Schub droht. Später kommt noch eine Pistole hinzu, mit der sich der Bogen zu Wolfgang Herrndorf schließt, der sich im Endstadium seiner Tumorerkrankung im Sommer 2013 erschoss.

 

Im Bühnenduett von Alrun Hofert und Michael Witte wird die ganze Angst und Verlorenheit des Autors sichtbar, die er seiner wundersamen Heldin mit auf den Weg gegeben hat. »Ich stelle mir vor, jemand sieht mich von oben, aber niemand sieht mich. Dabei liege ich so malerisch. Ich fühle mich so wohl und so tot und wie ein aufgestauter Fluss, über den in der Nacht immer wieder einmal der Wind geht«, verkündet Alrun Hofert — und in Michael Witte schwingt jener Unruhezustand gleich mit. 

 

Regisseur Bastian Kabuth vertraut in der Bühnenfassung von Robert Koall zu recht auf die Präsenz seiner Schauspieler, die zwischen (Aber)-Witz und Wahn in märchenhaft anmutenden Momenten das Wunder des Lebens im Angesicht des Todes beschwören. Wie Vater und Tochter kommen die beiden daher. Michael Witte tritt mit dem fürsorglichen Ernst und der Strenge eines vernünftigen Erwachsenen einer hellwachen Alrun Hofert entgegen. Mit vorwitzigen Augen scheint sie alles zu erfassen, grandios mäandernd zwischen jugendlicher Neugier und einer alterslosen Weisheit im Wissen um die elementare Einsamkeit des Menschen. 

 

Bilder deiner großen Liebe,
A: Wolfgang Herrndorf, R: Bastian Kabuth, 27.4., 5.5., 25.5. (20 Uhr),
14.5. (18 Uhr), Theater der Keller