Geht doch! Fußgänger wollen ihre Stadt zurück -Teil 4-

»Fußgängerzonen haben einen unglaublich tollen Klang!«

Bertram Weisshaar geht von Beruf: Er ist Spaziergangsforscher. Im Interview spricht Weisshaar über Sinneswahrnehmungen beim Spaziergang, Gründe für die schwache Fußgängerlobby und Kompromisse im Verkehr

 

Herr Weisshaar, Entschleunigung, Achtsamkeit und Müßiggang sind beliebte Schlagworte in einer dauerbeschleunigten Gesellschaft.

 

Man sollte meinen, Zu-Fuß-Gehen sei im Trend, aber kaum einer tut es. Viele Menschen haben die Souveränität über ihre Zeit verloren. Das merkt man besonders bei der Fortbewegung. Auf der Straße endet die Geduld bei der ersten roten Ampel. Man möchte Zeit sparen, ohne zu wissen, wofür. In vermeintlicher Zeitnot fühlt sich eine halbstündige Autofahrt durch die Stadt wie eine Ewigkeit an. Das passiert einem nicht, wenn man zu Fuß geht.


Warum nicht?

 

Weil man ständig Dinge sieht, beobachtet, erlebt. Man wird an Vielfalt und Kontrasten Gefallen finden. Man lädt auch den Zufall ein, schafft sich Raum für Begegnungen. Beim Autofahren bin ich noch nie zufällig ins Gespräch gekommen. Auch verschwinden Klänge, Temperaturunterschiede, Gerüche. Für Fußgänger ist die Umwelt reicher an Eindrücken.



Muss man das lernen?

 

Nein. Man steht auf und geht ­einfach los.



Können Sie erklären, warum der Fußgänger als Verkehrsteilnehmer oft vergessen wird?

 

Das Zu-Fuß-Gehen steckt in unserer Natur. Gehen ist für uns selbstverständlich. Das Wort ’Fußverkehr’ klingt erst mal komisch. Wenn wir gehen, begreifen wir uns nicht als Verkehrsteilnehmer.



Und deshalb setzt sich niemand dafür ein?

 

Zu wenige. Fußgänger müssen sich stärker engagieren. Autofahrer haben eine starke Lobby und noch einen Vorteil: Sie stellen ihr Auto ab, drücken aufs Gaspedal — und setzen sich damit durch. Radfahrer haben es in den letzten 20, 30 Jahren verstanden, sich zu organisieren. Fußgängern fehlt das größtenteils.

 


Warum braucht es eine Fußgängerlobby?

 

Die Breite der Straßen ist baulich vorgegeben. Wie sich der Verkehr darauf organisiert, muss ausgehandelt werden. Da gilt der Grundsatz: Planung ist Leidensverteilung. Es geht um Kompromisse. Oft zugunsten derer, die am lautesten schreien. Das waren bisher nicht die Fußgänger.

 

Was hat eine Stadt davon, wenn es mehr Fußgänger gibt?

 

Sehr viel! Sie wird lebendiger, sicherer, sauberer, gesünder. Außerdem machen Fußgänger eine Stadt schöner. Ich war zum Beispiel lange kein Freund von Fußgängerzonen, die waren mir zu uniform. Irgendwann aber habe ich festgestellt: Fußgängerzonen haben einen unglaublich tollen KLang! Durch die Passanten entsteht ein Klangteppich aus Schritten und Gesprächen. Das hat eine Schönheit.



Welche Maßnahmen machen Fußgängern das Leben schöner?

 

Das Meiste liegt auf der Hand: sichere Querungsmöglichkeiten, Wege mit guter Oberfläche, Instandhaltung. Ein großes Problem sind zu enge Gehwege und der ganze Kladderadatsch, der im öffentlichen Raum abgestellt wird. Parkende PKW oder Fahrräder, aber auch Außengastronomie. Die mögen wir alle, aber auch da wird öffentlicher Raum vereinnahmt. Und die Tische stehen eben nicht auf der Straße, sondern auf dem Gehweg.

 

Helfen denn nur verkehrspolitische und städtebauliche Eingriffe?

 

Eigentlich sollte jeder mal eine Woche nur Taxi fahren, eine nur Pakete ausliefern, eine Woche nur zu Fuß gehen. Das würde Verständnis dafür schaffen, dass wir bei Aufteilung des öffentlichen Raums einen sinnvollen Kompromiss suchen. Auch ich fahre übrigens manchmal Auto oder Fahrrad. Ich möchte wissen, wovon ich spreche.