Broiler im Aufwind

Wir erleben den kuriosen Höhen­flug des Grillhähnchens. Der Broiler, zuletzt bloß noch vor Bau­märkten und in Gewerbe­gebieten gesichtet, gilt plötzlich als Hipster-Leckerli. Es ist un­fass­bar.

 

Die vermeintlichen Mega-Trends in der Ernährung — Vegetarismus, Ethik des Konsums, Interesse an Kulinarik — scheinen vor allem Gesten der Abgrenzung zu sein. Wenn jetzt das Grillhähn­chen modisch wird, ist das nur eine weitere Geste: Nun zieht man offenbar unter der Fahne viriler Rustikalität gegen eine verzärtelte Essens-Ethik zu Felde. Das ist ein erstaunlicher Backlash.

 

Als die Wienerwald-Filialen in den 70er Jahren Fastfood und Systemgastronomie gesellschaftsfähig machten, etablier­te sich zugleich die indus­trielle Geflügelzucht. Das Huhn — in der klassi­schen Hochküche noch eine variantenreiche Disziplin — stürzte ab. Heute ist es Sinnbild maximierter industrieller Fleischproduktion. In die Hühnerfleischfabriken werden Küken mit Gebrauchsanweisung geliefert, eigene Impfstoffe sollen die Folgen der monströsen Haltung eindämmen. Und jetzt haben wir noch gar nicht über das Schreddern männlicher Küken gesprochen.

 

Aber das Huhn ist nicht nur ein tierrechtliches Problem, sondern auch ein kulinarisches: Denn das, was wir für zart oder saftig halten, ist in Wirklichkeit bloß wässrig und dient als geschmacksneutrales, mundschmeichelndes Beißgut — was mit penetranten Würzungen übertüncht wird.

 

In den vergangenen 80 Jahren hat das Gewicht der Masthühner um zwei Drittel zugenommen — während sie weniger als halb so lange am Leben gelassen werden. Das kann nicht schmecken. Hier zeigt sich wieder, wie groß die Schnittmenge von kulinarischem Niedergang und Tierquälerei ist. Ein Tiefpunkt sind in dieser Hinsicht panierte und frittierte »Chicken Nuggets« aus Formfleisch, also mundgerecht portioniertem Fleisch-Schrott. Aber auch als Ganzes sind Industriehühner kaum genießbar, da kommt der Grillspieß gerade recht, um Authentizität vorzugaukeln — und ihnen aufdringliche Röstaromen zu verpassen.
In der Erzählung vom Schlaraffenland fliegen den Menschen die gebratenen Hühner direkt in den Mund. Das Märchen ist längst Wirklichkeit. Und nun wissen wir, dass dieses Schlaraffenland keinesfalls als eine Variante der Paradiesvorstellungen zu nehmen ist. Tatsächlich ist es eine Dystopie, die wir mit den Produkten aus den Fleischfabriken längst erreicht haben.