Im Wind fliegende Ziegenbärte

Die Bonner Schau Iran gibt einen faszinierenden Einblick

in frühe Kulturen der Menschheits­geschichte

Die Einladung der spektakulären Farah-Diba-Sammlung des »Teheran Museum of Contemporary Art« nach Berlin ist ja nun gescheitert. Die größte Sammlung moderner Kunst außerhalb der USA und Europas — mit einem Schätzwert von drei MiIliarden Dollar — hätte einen ungewohnten Blick auf ein fernes, fremdes und verrufenes Land gestattet. Eine weitere Möglichkeit bietet nun die Ausstellung »Iran — Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste« in der Bonner Bundeskunsthalle.

 

Wer die Monumentalästhetik des antiken Persepolis kennt, der Herrscherstadt der Achämeniden, wird in Bonn überrascht. Er findet sich inmitten einer überwältigenden Fülle aus Masken und Figürchen, Helden- und Tierstatuen, Spielbrettern und Schmuckstücken. Hergestellt aus Speckstein und Alabaster, Gold und Kupfer, Lapislazuli und weiteren Edelsteinen, offenbaren sie neben ihrer formalen Schönheit eine hohe Kunstfertigkeit der Materialbearbeitung.

 

Das Design von Persepolis — beziehungsweise von den Resten, die Alexander der Große übrig ließ — mit seinen Halbreliefs lockenbärti­ger Krieger und geflügelten Löwen­statuen wirkt wuchtig, heroisch, seriell — Manifestation einer zen­tra­listischen Macht. Bonn dagegen ist verspielter: Da hat ein Trinkgefäß die Form eines Männleins, das Krüge vor sich herschiebt; eine Schnabelkanne mit Füßchen erinnert an Hieronymus Bosch. In den Abbildungen vieler Exponate liegen Natur, Domestikation und Kunst noch dicht beieinander. Da sind Geparden, deren Flecken zum Ziermuster eines Kelches werden, miteinander ringende Schlangen, die sich in Ornamente verwandeln, Ziegen, deren Bärte im Wind fliegen, mit überlangen Hörnern, welche sich als Gestaltungselemente um eine Vase schlingen. Eine Metamorphose der Formen und Bewegungen.

 

Die Ausstellung beginnt im 7. Jahrtausend v. Chr., Sesshaftwerdung der Menschheit. Diese ereignete sich zu einem Gutteil im Iran, diesem riesigen Land der Extreme, mit fruchtbaren Tälern und Oasen, der heißesten Wüste der Erde, ewigem Gebirgsschnee — ein gewaltiger Durchgangsraum zwischen Ostasien, Mesopotamien und zwei Meeren. Professorin Barbara Helwing, Kuratorin der Ausstellung, war 15 Jahre lang Leiterin des Deutschen Archäologischen Museums in Iran. Vier Jahre lang haben sie und Susanne Annen, Ausstellungsleiterin der Bundeskunsthalle, iranische Depots durchforstet. Nicht nur im Teheraner Nationalmuseum, sondern auch in den Provinzmuseen in Urmia, Susa und Dschiroft akquirierten sie bedeutende Funde, etwa ein noch nie ausgestelltes elamisches Prinzessinengrab, das bei Bauarbeiten entdeckt wurde.

 

Die Bonner Schau ist erst die zweite ihrer Art. 2001 präsentierte »7000 Jahre Persische Kunst« vor allem die auratische Objektschönheit frühhistorischer Schätze, nun aber sind die Funde in einen Zusammenhang und eine Narration eingebunden. Der Besucher durchläuft in einem Kreis die Kapitel der Menschheitsgeschichte; von der Stein- und Bronzezeit bis in die Kupfer- und Eisenzeit, von den allerersten Siedlungen bis zur Entstehung der ersten bürokratisch verwalteten Reiche — bis irgendwann die persische Antike eingeholt ist. Damit wird ein schwer fasslicher Zeitraum geklammert, der sich durch epochale Entwicklungen der Keramik- und Metallherstellung und unzählige kunsthandwerkliche und stilistische Veränderungen auszeichnet.

 

Nicht alle Kapitel dieser Geschichte sind bekannt, noch nicht, da der Forschungsstand ungefähr alle zehn Jahre umgewälzt wird. Die Ausstellung dokumentiert auch Irrwege, Sackgassen: Frühe Formen der Schrift wurden erfunden und — zu unpraktisch? — wieder vergessen. Vergessen ist daher auch die reiche Mythologie, die hinter vielen Figuren und Formen steht. Man weiß von einem Schlangenkult und vom Skorpionmann, aber nichts wurde aufgezeichnet oder überliefert.

 

Historie lud schon immer zur Projektion ein: In der Schah-Zeit begab sich die iranische Film-Avant­garde mit Dokumentarfilmen wie »The Hills of Marlik« und »Hills of Qeytariye« (1964) an bedeutende archäologische Ausgrabungsorte. Dort konnte der kreative Geist einer von Zensur bestimmten drückenden Gegenwart entfliehen, Trost in einer weit zurückreichenden Kontinuität finden. Mohammad Reza Aslanis »Chalice of Hassanlou« (1964) widmet sich einem legendären Fundstück, das ebenfalls in Bonn zu sehen ist: Beim Kelch von Hassanlou ist der historische Augen­blick plötzlich unmittelbar greifbar. Nach einem blutigen Beutezug um 800 v. Chr verblieb er am Ort des Überfalls — wohl nur, weil über den Plünderern das brennende Dach einstürzte. Man fand ihn plattgedrückt, umgeben von drei Skeletten. Die Zeichnungen auf dem reichverzierten Goldgefäß zeigen Szenen einer fernen Götterwelt.

 

Älteste zivilisatorische Errungenschaften werden dem Ausstellungsbesucher mit neuesten Medien nähergebracht. In sogenannten »Holoboxen« scheinen die Schaustücke wie Hologramme im Raum zu schweben. Darunter machen auf plastische Reliefkarten projizierte Animationen die Migrations- und Handelsströme der Frühzeit anschaulich. Geschichte, Bilder, Menschen erscheinen so in Bewegung. Wünschenswert, das diese Dynamik auch aktuelle Bilder des vermeintlich Fernen und Fremden erfasst.