Killing it softly

Jan-Christoph Gockel inszeniert mit Der siebte Kontinent eine Allegorie auf die Leidenspower von Mensch und Plastik

Plastik steht umgangssprachlich für Kunststoff, jene chemische Verbindungen, die längst ihre Unschuld verloren hat, und ist aber auch der Begriff für ein dreidimensionales Objekt der bildenden Kunst. Wenn Künstler aus dem Plastikmüll, den die moderne Wegwerfgesellschaft tonnenweise generiert, neue Gebilde kreieren, scheint die schleichende ökologische Katastrophe, die weltweit vom Plastikmüll ausgeht, für einen Moment ihren Schrecken zu verlieren. Oder werden die Objekte nur zum Sinnbild eines Dilemmas, das von Menschenhand geschaffen, sich als ebenso unbeherrschbar erweist, wie die Geister, die Goethes Zauberlehrling im naiven Forscherdrang in Gang setzte? 

 

Der Schauspieler Michael Pietsch schlägt die Brücke zu jenem lyrischen Weckruf an den Wahnwitz menschlichen Schöpfergeistes. Aus zwei Komponenten braut er Bauschaum zusammen, der sich auf monströse Weise aus dem Gefäß ergießt, bis er sich zu einem grotesken Gebilde auftürmt und erstarrt. Ein Vielfaches dieses kleinen Plastikmonsters verunstaltet die Strän-de von Kamilo Beach auf Hawaii. Hier spült die Strömung Unmengen von Plastikmüll an. Dazwischen finden sich die Kadaver der verendeten Tiere, die den Stoff nicht von Nahrung unterscheiden konnten. 

 

Um sich selbst ein Bild von der ökologischen Katastrophe zu ma-chen, reisten Theaterregisseur Jan-Christoph Gockel und sein Team für das Theater-Projekt »Der siebte Kontinent« an diese Strände. Die Bilder ihrer zehntägigen Reise werden als Erlebnisbericht im Theaterstück »Der siebte Kontinent« gezeigt. Es sind zum einen fiktive Spielszenen mit den Darstellern, wie sie den siebten Kontinent als imperialen Akt in Besitz nehmen, überwiegend aber Dokumentarmaterial über die Situation am Kamilo Beach. Auf der Bühne sind Lilith Häßle und Sébastien Jacobi in einer allegorischen Liebesgeschichte zu sehen. Sie, ein Mensch, möchte mit ihm, dem Plastik, Schluss machen.

 

Der Zuschauer wird Zeuge eines typischen Beziehungsstreits: Sie ist seiner überdrüssig geworden, aber gleichzeitig in einem über Jahre gesponnenen Geflecht von Gewohnheiten und Abhängigkeiten an ihn gebunden. Die Allegorie einer entzauberten Liebesbeziehung stellvertretend für das Verhältnis von Mensch und Plastik funktioniert auf bestechend unterhaltsame Weise. Eine Lösung gibt es in diesem Liebesstreit nicht, dafür sind die beiden zu eng mit-einander verwoben. Neue Argumente, den Prozess der Entzau-berung zu beschleunigen, liefert der Abend allemal.

 

»Der siebte Kontinent«


A+R: Jan-Christoph Gockel
1./2. (je 20 Uhr), 22. (21.30 Uhr),
23.6. (11, 14, 19 Uhr), Theater im Bauturm