Strom muss fließen

Rochus Aust denkt groß. In den letzten Jahren hat der Kölner durch seine Musik dutzende Orte auf der ganzen Welt miteinander vernetzt und dabei nie den Faden verloren

 

Ein Loch in die Kirche bohren? Warum hat man das eigentlich nicht schon früher gemacht? Der Gedanke, mit einer Kernbohrung alle Stockwerke des Lutherturms miteinander zu verbinden, liegt tatsächlich nahe. Zumindest dann, wenn man gewohnt ist, das vermeintlich Abwegige zu denken. 

 

Rochus Aust ist so jemand. Beim Gang durch den Turm erzählt der Musiker und Komponist, der ab Sommer 2017 die südstädtische Luther-Kirche als Kurator bespielen wird, von seinen Plänen. Dort sollen Teile der Wände herausgebrochen werden, damit in den Mauernischen Mobiliar verschwinden kann, in die Böden soll besagtes Loch gebohrt werden, das dann eine Verbindung mit den mäch-tigen Glocken in der Turmspitze ermöglichen wird. Das Loch wird die unterschiedlichen Klangkunst-Ausstellungen, die Aust kuratieren wird, zueinander in Bezug setzen.

 

Man merkt Aust an, dass er für die Sache brennt. Der 1968 in Recklinghausen geborene Kölner arbeitet seit über zwanzig Jahren in einem interdisziplinären Grenzbereich, in dessen Mittelpunkt Klangkunst steht. In den letzten Jahren sind seine Projekte immer größer und komplexer geworden. Dabei liefert ihm die Alltagswelt das Material. Und bei seinen Recherchen stößt er auch immer wieder auf Fundstücke, die überraschende Brücken schlagen.

 

»In Cologne, everybody drinks beer«, das Zitat stammt aus einem Amateur-Dokumentarfilm aus dem Jahr 1939. Mrs. Dowidat, Arztgattin und feinsinnige Tagebuchschreiberin, bezog sich in dem Film mit ih-rem Kommentar auf Cologne in Minnesota. Perfektes Material für Aust, der Ausschnitte aus dem Film in eine seiner Kompositionen montierte. In dem »Electro-Iconic Bridge« betitelten Projekt schlug Aust 2015 akustische Brücken zwischen europäischen und amerikanischen Orten, deren Namen sich aufeinander beziehen. Zwei Sin-fonien, die er hierzu mit seinem Stromorchester erarbeitete, führte er in knapp fünfzig Städten dies- und jenseits des Atlantiks auf. Zu Köln fand Aust als Pendant etwa das von Kölner Immigranten gegründete Städtchen in Minnesota, neben der Doku verarbeitete er Material aus dem Kölner Studio für Elektronische Musik und das von ihm selbst entwickelte Quadrophon. Eine gänzlich andere Historie fand Aust in Moscow, Maine, vor. Das 500-Seelen-Dorf entstand in den 80er-Jahren rund um eine -militärische Radarstation, deren Abwehrfunktion sich mit dem Ende des Kalten Krieges erst mal erledigt hatte. Mit dem überaus leistungsstarken Radarsystem konnten sogar Veränderungen der Meeresströmung registriert werden — Aust band Interferenzen und das Knistern der Spannungsleitungen zusammen mit dem im Moskau der 20 Jahre entwickelten Theremin in seine Komposition ein.

 

Auf diese assoziative und zu-gleich zwingende Art lotete er mit seiner »Electro-Iconic Bridge« die transatlantischen Beziehungen neu aus. In dem Jahr, in dem sich Donald Trump, Enkel Pfälzer Einwanderer, anschickte, für das Amt des amerikanischen Präsidenten zu kandidieren, und ein neuer Nationalismus mit ungeahnter Vehemenz auf den Plan getreten ist, verknüpf-te Aust Orte, Geschichten, Bilder, Töne, Symbole, Kontexte. Grundsätzlich Trennendes wie etwa die unterschiedliche Netzspannung in Europa und den USA — für sein mit elektronischen (Haushalts-)Geräten ausgestattetes Stromorchester ein wesentlicher Punkt — wurde Bestand-teil der Arbeit.

Aust studierte unter anderem am Royal College of Music in London klassische Trompete und verfolgte zunächst eine Karriere als Solist. Er fand in den 90er Jahren über die Zusammenarbeit mit Vinko Globokar und Heiner Goebbels zu einem entgrenzten Klangbegriff und einer konzeptuell ausgerichteten Arbeit als Komponist. Er spielte Trompete auf der Einspielung von Goebbels Opus Magnum »Surrogate Cities«, und so mag es nicht verwundern, dass Aust auch immer wieder Städte und ihre Verbindungen untereinander zum Thema seiner choreographisch-inszenatorischen Arbeiten macht.

 

In seinem neuesten Projekt, das er am 23. und 24. Juni im Lutherturm vorstellen wird, geht es indes nicht um Orte, sondern um Transformationen. In »Beyond Digital Trolling« erweitert er sein Strom-orchester mit 3-D-Druckern. Die Drucker werden als Schnittstelle von virtuell-digitaler und materiell-analoger Welt bei Aust zu Musikinstrumenten in einer Transformations-schleife. Der technische Vorgang, dessen Sound als Stimme im Orchester hörbar wird, ist komplex und vieldeutig lesbar. Zweidimensionale Bilder werden in dreidimensionale Objekte umgerechnet, denen wiederum eine klingende Dimension hinzugefügt wird: wie einer Vinylschallplatte werden den Objekten Rillen eingefräst. Diese Rillen enthalten den Sound von der Fertigung des Objekts und werden mit herkömmlichen Tonabnehmern abgetastet. Aus einem digitalen Pixelbild wird ein Musikobjekt. Aust lässt ungern eine mögliche Dimension der sinnhaften Erweiterung seiner Arbeit aus. Der Mann steht selbst unter Strom, und er weiß: Strom muss fließen.

 

Wenn dann die 3-D-Drucker im Lutherturm surren und wie ein Wunderwerk Virtualität in Wirklichkeit übersetzen und dabei so etwas wie Musik entsteht, dann kommt auch wieder der Ort ins Spiel. Was Luther, der der katholischen Verwandlungslehre vom Leib Christi ablehnend gegenüberstand, zu diesem Zauber gesagt hätte, darüber darf man grübeln. Über das Loch in seiner Kirche wäre der Hitzkopf vermutlich not amused gewesen — der Mann hatte bekannt-lich eine Standleitung nach oben.

 

Dokumentation und Termine:
rochusaust.de

 

Am Föhn der Zeit: Rochus Aust