Lemon, adé!

Kaum ein Segment im Supermarkt wird dermaßen von Konzernen beherrscht wie Limonade. Seit einem Vierteljahrhundert werden weltweit stark zuckerhaltige Brausen im Vergleich zum Einkommen immer günstiger. Wie allein der Marktführer mit seiner Cola-Brause Kinder anfixt, zeigt eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Preventing Chronic Desease. Die Folge: Übergewicht und Diabetes nehmen zu.

 

Der Niedergang der Limonade beginnt schon damit, sie als »Erfrischung« zu deklarieren, obwohl Wasser am besten Durst stillt. Am Ende der Entwicklung steht der functional drink, dessen verkommenste Variante der »Energy Drink« ist. Andere Brausen sollen uns mit Koffein wachhalten, versprechen Gesundheit durch künstliche Vitamine oder obskure »isotonische Effekte«. All das ist: erstens nicht lecker, zweitens nicht gesund, und drittens macht es gustatorisch impotent.

 

Derzeit fallen in den Metropolen aber Alternativen in den Blick. Die Rede ist nicht von industriellen Fassbrausen, ­Schorlen und Eistees, die das bekannte Elend mit neuen Aromastoffen variieren. Vielmehr geht der Trend in unabhängigen Bistros, Cafés und Imbissen zu »hausgemachter Limonade«. Die Darreichungsform muss dabei offenbar möglichst nostalgisch und möglichst unpraktisch sein: Man trinkt aus Gefäßen, die Einweckgläsern ähneln, und stochert mit dem Strohhalm in crushed ice. Es klackert in der Mundhöhle, als zerbröselten die Backenzähne, und die Kühlung wandelt sich bald in einen wässerigen Geschmack.

 

Doch bessere Limonade ist möglich! Sie benötigt weder Zucker noch Eis, und noch nicht mal Zitrus. Das Beste: Man hat sie man im Nu zubereitet! Einfach in ein Glas gekühlten Mineralwassers einen kräftigen Schuss guten Essig geben! Das schäumt wie verrückt, aber man lernt noch mehr: Der Geschmack ist keineswegs sauer! Das gilt für Balsamico ebenso wie für Wein- oder Apfelessig. Probieren Sie das aus! Danach wirkt der kreative Wahnsinn hausgemachter Limonaden, wie sie Jamie Oliver und Konsorten auf den Tisch knallen, unsäglich umständlich und schal. Noch die heutigen Groß­eltern kennen die Essig-Limo als Not­behelf. Die Idee ist aber viel älter. Das Neue Testament berichtet, römischen Soldaten hätten Jesus am Kreuz Essig zu trinken gereicht. Ob das tatsächlich der Verhöhnung diente, ist fraglich. Schließlich war es damals üblich, Essig-Wasser zu trinken: Posca war die Mainstream-Limo der Zeitenwende — und hausgemacht. Diabetes und Übergewicht als Folge sind nicht überliefert.