Vom Verspeisen von Menschen

Regisseur Ali Jalaly im Tiefrot wuchtet den Zynismus der Asylpolitik auf die Bühne

Im Sommer steigt sie wieder, die Zahl der Geflüchteten, die von der nordafrikanischen Küste versuchen, übers Meer nach Europa zu kommen. Zahllose sterben auf den Märschen durch die Wüste, ertrinken im Mittelmeer oder werden Opfer von skrupellosen Menschenhändlern. Im Stück des Kölner Regisseurs Ali Jalaly bekommen die Betroffenen Gesicht und Stimme. Gemeinsam mit dem Schauspieler Michael Morgenstern hat Jalaly ihre Tragödien zum Anlass genommen, um ein Lehrstück über die Ursachen von Flucht und Vertreibung und die Verwerfungen bei der europäischen Asyl und Ausländerpolitik zu verfassen.

 

Michael Morgenstern, der schon bei Ali Jalalys letztem Stück »Ich werde nicht hassen« auf der Bühne begeisterte, schlägt den Zuschauer in seinem mitreißenden Monolog in den Bann. Er nimmt ihn mit auf die Reise von Afrika in ein bayerisches Asylheim und wieder aufs Mittelmeer. So intensiv und kraftvoll ist sein Spiel, dass man sogleich in die Geschichte dieses namenlosen Menschen hineingezogen wird. Er erzählt einfühlsam aber frei von Sentimentalitäten, wie er zwischen die Fronten eines eskalierenden Völkerkrieges gerät. Assoziationen an Ruanda werden geweckt, wie sich überhaupt die turbulente Vita eines Geflüchteten aus historischen Vorbildern und kulturellen Zitaten zu speisen scheint.

 

Motive aus Brechts »Dreigroschenoper« tauchen ebenso auf wie Stanley Kubricks monströse Gehirnwäsche aus »Clockwork Orange«. Die ganze Bigotterie der Dynamik von Asylsuche und Abschiebungsverfahren gipfelt in dem bitterbösen Schelmenstück, einem medialen Overkill, bei dem der heterosexuelle Held schwul werden soll, weil er wegen der bigotten Behördenlogik als vermeintlicher Christ und Homosexueller bessere Chancen auf Anerkennung hat. Die latente Homophobie unter Moslems kommt zur Sprache ebenso die Anmaßung europäischer Staaten, die Gesetze immer weiter verschärfen, mit der Folge, dass Menschen trotzt drohender Verfolgung zurückgeschickt werden.

 

Im Mahlstrom globaler Dynamiken verliert der Held der Geschichte seine Identität. Gegen Ende steigert Regisseur Ali Jalaly diese groteske Dynamik, in dem in einem dionysischen Akt des Verspeisens eines Menschen das Individuum in einer mörderischen Metamorphose aufgehoben wird. Es ist ein Paukenschlag, der für den Zuschauer Zumutungsgrenzen auslotet, die an diesem verstörend guten Abend ausgereizt werden.