Langen Prozess machen

Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Einsturzes des Stadtarchivs jetzt Anklage gegen sieben Personen erhoben

Mehr als acht Jahre sind vergangen, seit 2009 das Historische Stadtarchiv sowie zwei Wohngebäude am Waidmarkt beim Bau der Nord-Süd-Bahn einstürzten. Zwei Menschen starben, unzählige Regalkilometer Archivmaterial wurden verschüttet. Es dauerte bis 2011, sie zu bergen. Seitdem müssen sie mühsam restauriert und zugeordnet werden. Manches ist für immer verloren. Was man seit dem Einsturz am 3. März 2009 von der Aufarbeitung dieses Skandals hörte, gab wenig Anlass zur Hoffnung: nur, dass die Suche nach den Ursachen und den Schuldigen lange dauern und teuer sein werde.

 

Doch nun das: Am 15. Mai erhob die Kölner Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung Anklage gegen sieben Personen am Landgericht Köln. Fünf der Beschuldigten gehören zur »Arge Süd«, dem Zusammenschluss der Baufirmen, die anderen beiden zur KVB, die zugleich Bauherrin war und die Bauaufsicht innehatte.

 

Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf ein Gutachten, das seit Ende April vorliegt. Es bestätigt Vermutungen, die bereits 2010 kursierten: die fehlerhafte Schlitzwand-Lamelle 11 habe zum Unglück geführt. Den sieben Angeklagten drohen nun bis zu fünf Jahren Gefängnis.

 

Zwei beschuldigte Arbeiter der Arge Süd sollen bereits im September 2005 beim Ausschachten der Baugrube gepfuscht und Fehler vertuscht haben. »Ihnen wird vorgeworfen, beim Aushub der Schlitzwand-Lamelle 11 auf ein Hindernis gestoßen zu sein, das sie nicht beseitigen konnten, eine Meldung an ihre Bauleitung unterlassen und den Aushub eigenmächtig fortgesetzt zu haben«, so Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Dabei sollen sie eine sogenannte Erdplombe geschaffen haben: eine Öffnung in der Schlitzwand. Als diese am 3. März 2009 schlagartig nachgab, drangen in kürzester Zeit große Mengen Sand und weiteres Bodenmaterial in die Baugrube. Das entzog dem benachbarten Stadtarchiv den Boden. Der Staatsanwaltschaft liegen unter anderem Messprotokolle vor, »die von den direkt am Bau beteiligten Personen verfasst wurden und suggerieren, dass der Bau ordnungsgemäß ausgeführt wurde, obwohl dies nicht der Fall war«, so Bremer.

 

Die fünf weiteren Angeklagten — drei Beschäftigte der Arge Süd sowie zwei der KVB — werden beschuldigt, ihren Prüfungs- und Überwachungsaufgaben nicht nachgekommen zu sein. »Wir vermuten, dass ab 2005 Kontrollen unterlassen wurden oder dass nicht mit der nötigen Sorgfalt kontrolliert wurde«, sagt Bremer. Ihnen hätten die Fehler bereits bei der Herstellung der Schlitzwand-Lamelle 11 auffallen müssen. Doch in den folgenden Bauphasen »wurde auf die aus unserer Sicht augenfälligen Mängel im Fugenverlauf, die auf einen Baufehler hindeuteten, nicht reagiert.«

 

Die KVB äußert sich nicht zu der Anklage und begründet dies mit laufenden Ermittlungen. Die Arge Süd streitet die Vorwürfe nach wie vor ab. Bereits 2010 nannte einer ihrer Sprecher als wahrscheinlichste Ursache des Unglücks einen hydraulischen Grundbruch, bei dem es durch strömendes Grundwasser zu einer plötzlichen Bodenbewegung kommt — ein unvorhersehbares Naturereignis, das die ausführenden Baufirmen aus der Verantwortung entließe. Doch nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hält dies kaum noch jemand für plausibel. Die Klage der Staatsanwaltschaft kommt spät. Ein Urteil muss bis zum 2. März 2019 gefällt werden, danach sind etwaige Straftaten verjährt. Das wäre der Skandal nach dem Skandal.

 

Die Anklage gegen die sieben Mitarbeiter von Arge Süd und KVB wurde aus einem sogenannten Ursprungsverfahren herausgelöst, bei dem noch gegen weitere 87 Personen ermittelt wird, die an Planung und Bau der Nord-Süd-U-Bahn beteiligt waren. Bei diesem Verfahren geht es nicht um fahrlässige Tötung, sondern um Baugefährdung während des Baus der U-Bahn.

 

Am Landgericht Köln sind außerdem zwei Beweissicherungsverfahren  anhängig, die die Stadt Köln mit der KVB gegen jeweils 23 Baufirmen angestrengt hat: In einem Verfahren geht es um den Schaden, der durch den Einsturz entstanden ist, vor allem der Archivalien. In dem zweiten Beweissicherungsverfahren geht es um die Ursache des Einsturzes. Erst nach Abschluss des Verfahrens kann die Stadt in einem Hauptsacheverfahren Schadensersatzklage erheben.

 

Die Zivilkammer des Landgerichts hat einen Obergutachter bestellt, der die Arbeiten der Gutachter von Staatsanwaltschaft, Arge Süd sowie KVB am Unglücksort koordiniert. Nach Bergung der Archivalien wurde dafür 2012 ein Besichtigungsbauwerk errichtet: ein Schacht an der Schlitzwand-Lamelle 11, wo es zum Einbruch kam. Dabei durfte es zu keinen Veränderungen des ursprünglichen Zustands kommen. Das kostete viel Zeit — und viel Geld. Man geht von rund 125 Mio. Euro aus.

 

Die zivilrechtlichen Untersuchungen wegen Baugefährdung betreffen unter anderem auch die Wasserhaltung in den Baugruben. Es sollen mehr Pumpen als genehmigt installiert worden sein, um eindringendes Grundwasser abfließen zu lassen. Schon Anfang 2010 kam außerdem heraus, dass Eisenbügel von Arbeitern gestohlen und weiterverkauft wurden. Teils wurden nur 17 Prozent der Bügel verbaut. Das hatte die Sicherheit der Baustellen gefährdet, nach Abschluss der Bauarbeiten besteht aber keine Gefahr mehr. Weil sich die Vorgänge heute nicht mehr rekonstruieren lassen, ist der Eisenbügel-Diebstahl nicht Gegenstand der Ermittlungen.

 

Abgesehen von den strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren: Eine Aufarbeitung des Unglücks jenseits juristischer Kategorien hat auch mehr als acht Jahre nach dem Unglück noch nicht begonnen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker sprach am achten Jahrestag im März am Unfallort; ihr Vorgänger Jürgen Roters (SPD) hatte das stets vermieden. Aber auch unter Reker ist bislang keine Aufarbeitung der Umstände erfolgt, die zu dem Unglück geführt haben. So steht immer noch der Verdacht im Raum, dass Baufirmen und KVB Kontrollen nicht oder nur unzureichend durchgeführt hätten, weil der Zeitdruck so hoch war.

 

Was aber bedeutet das für neue Projekte? Derzeit plant die Stadtverwaltung eine U-Bahn-Strecke auf der Ost-West-Achse vom Heumarkt Richtung Westen. Wird hier nicht auch Zeitdruck bestehen? Dennoch glaubt die Stadtverwaltung offenbar, den Bürgern vermitteln zu können, dass heute ein U-Bahn-Bau besser gelingen würde.

 

Die Nord-Süd-Strecke soll nach derzeitigen Prognosen im Jahr 2023 in Betrieb genommen werden. Dann würden die juristisch Schuldigen womöglich gerade aus der Haft entlassen. Und die Bewohner des Kölner Südens kämen dann schließlich zehn Minuten schneller zum Hauptbahnhof. Eben diese zehn Minuten waren damals das entscheidende Argument für den Bau der U-Bahn.