Über sieben Wellen musst du surfen

Mit 71 Jahren ist die Komponistin Suzanne Ciani so gefragt wie noch nie. Die Dokumentation »A Life in Waves« widmet sich ihrem Leben mit dem Buchla-Synthesizer

»Ist es eine Zeitfrage? Nein, das glaube ich nicht. Es geht vielmehr darum, die Zeit anzuhalten. Wenn man kreativ sein möchte, muss man in eine Blase gehen und sich freimachen von den Zwängen und praktischen Abwägungen der Welt.« Die Worte, die mit eindringlichen Blick und konzentrierter, beruhigender Stimme an mich gerichtet sind, stammen von Suzanne Ciani. Wir befinden uns in Durham, North Carolina, wo im Rahmen des Moogfests die von Brett Whitcomb und Bradford Thomason gedrehte Dokumentation »A Life in Waves« über das Leben der italoamerikanischen Musikerin läuft und ihr der »Moog Music Innovation Award« für ihr Lebenswerk verliehen wird. Zwei weitere Indizien für die endlich stattfindende Würdigung der Arbeit von Pionierinnen der elektronischen Musik wie Delia Derbyshire, Else Marie Pade, Pauline Oliveros, Laurie Spiegel, Daphne Oram und eben auch Suzanne Ciani. 

 

Doch spricht man mit der 71jährigen Kalifornierin, ist von Groll nichts zu spüren. Freudig vergleicht sie die aktuelle Aufmerksamkeit mit einer Welle beim Surfen, die einen immer höher trägt. Sie hofft, dass der Award und die Dokumenation ihr zu mehr Wahrnehmung verhelfen und sie so mehr Einfluss auf die zukünftige Gestaltung elektronischer Instrumente nehmen kann. Das ist Ciani besonders wichtig, da sie seit dem letztjährigen Tod von Don Buchla die letzte Botschafterin seines Vermächtnisses ist — eine Mission, die jederzeit vorbei sein könnte. »Ich weiß nicht, wie lange der Buchla noch funktionieren wird«, führt sie aus. »Wenn er kaputt geht, wird er nicht mehr ersetzbar sein, ich habe dann kein Instrument mehr. Als er in den 70ern schon mal defekt war, war ich so traumatisiert, dass ich mich danach musikalisch neu orientiert habe.«

 

Suzanne Cianis Karriere ist geprägt von einer ganz eigenen Kombination aus Neugierde, der Fähigkeit zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, dem Talent sich in Austauschprozesse mit anderen Künstlern zu begeben und einem gewissen Pragmatismus hinsichtlich der wirtschaftlichen Zwänge der Künstlerexistenz. Da wäre zunächst das Zusammentreffen mit Don Buchla, den sie während ihres Studiums der Komposition in Berkley in den 60er Jahren kennenlernte und dessen gleichnamiger Synthesizer zu ihrem Instrument werden sollte. Von ähnlich nachhaltiger Wirkung war ein Jahrzehnt später die Begegnung mit John Chowning und Max Mathews im Rahmen des Studiums der computer generated music in Stanford. Während viele männliche Kollegen ein solches Fundament für ihre eigene künstlerische Profilierung genutzt hätten, begnügte sich Ciani, ähnlich wie Delia Derbyshire, die ihr musikalisches Talent primär innerhalb des BBC Radiophonic Workshop einbrachte, lange Zeit damit, sich an den Feierabenden und am Wochende der eigenen Musik zu widmen. Indem sie ihr Geld woanders verdiente, nahm sie den Druck von der Kunst. Schwierig sei das nur gewesen, da sie nicht so gut wie andere den Schalter umlegen und nach dem Zubereiten des Abendessens und dem Müllraustragen mal eben für drei Stunden Musik produzieren konnte. Aber dank eines Zweithauses in Venice, wo niemand sie kannte und das Telefon nie klingelte, gelang ihr der Spagat trotzdem. Zumal in jenen Tagen die Musik sowieso primär live stattfand. »Ich habe den Buchla nicht als Studioinstrument eingesetzt, sondern nur Konzerte damit gegeben.«

 

Erst 1982 veröffentlichte sie mit »Seven Waves« ihr erstes Solo-Album. Da hatte sie sich bereits zum neu formierenden Genre New Age orientiert. »Als ich die Arbeit an ›Seven Waves‹ begann, wollte ich nicht nur elektronische Musik aufnehmen, sondern auch meine klassischen Roots einbringen. Die Welle repräsentiert die Form der melodiösen Komposition«, erinnert sich Suzanne Ciani. Es ist eine Freude mit ihr über ihren künstlerischen Prozess zu sprechen. Stress scheint sie nicht zu kennen. Ihr Mantra klingt so simpel wie wünschenswert: »Es muss nichts getan werden. Ich bekomme alles hin.« Man dürfe sich als Künstlerin nicht dem ansonsten geltenden Alltagsdruck hingeben, sondern müsse »die Kontrolle abgeben und vertrauen — und dann passiert es auch«. 

 

Die Entlastung der Kunst von ökonomischem Druck ermöglichten Suzanne Ciani in den 80er und 90er Jahren Sounddesign-Aufträge für Marken wie Coca Cola und AT&T Sounds, Sountracks für Filme wie »The Incredible Shrinking Woman« und kommerziellen Projekten wie einer Discoversion der »Star Wars«-Musik. Vor diesen Eskapaden hat sie sich nicht gescheut, man müsse über sie aber auch nicht vertiefend sprechen, gibt sie zu verstehen. »Ich möchte mit meiner Musik einen Ort der Entspannung kreieren«, fährt Suzanne Ciani die Ausführungen zu »Seven Waves« fort. Insofern empfindet sie es als nicht unpassend, dass der New Age-Strang ihrer Musik mittlerweile dem Genre Ambient zugerechnet wird. Was unter anderem dazu führte, dass das New Yorker Labels Rvng Intl. für seine FRKWAYS-Serie eine Zusammenarbeit mit Kaitlyn Aurelia Smith initiert hat. »Sunergy« (2016), das Ergebnis dieses Treffens der Generationen und Ambientschulen, ist von atemberaubender Schönheit. Die beiden gemeinsamen Stücke »A New Day« und »Closed Circuit« repräsentieren eine Soundästhetik, zu der man Orte wie Big Sur und den Kalifornischen Nationalparks assoziiert.

 

Sie selbst tut sich übrigens schwer, zu Musik zu entspannen, gesteht Ciani am Ende unseres Gesprächs. »Wenn ich bei einer Massage bin und höre New Age Musik, ertrage ich das nicht. Ich kann so nicht entspannen. Dazu bin ich zu sehr Musikerin.«