Foto: Nathan Ishar/Pramudiya

Realistische Utopien

Gegen die Problemzone! Die kommende Theatersaison der freien Szene schaut auf die Gesellschaft

Wie verhindert man in Krisenzeiten, dass das Reden über die Krise zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird? Die freie Kölner Theaterszene arbeitete auch in der letzten Saison auf sehr unterschiedliche Art und Weise daran, den wachsenden gesellschaftlichen Problemzonen mit den Mitteln des Theaters etwas entgegenzusetzen. Sozialpolitische Themen standen etwa auf der Agenda des Freien Werkstatt Theaters. In »Erschlagt die Armen!« wurde provokant und pointiert die Flüchtlingsfrage mit der Geschlechterdebatte kombiniert. In der Sozial-Farce »≈ [ungefähr gleich]« scheitern gleich fünf traurige Helden am Glücksversprechen einer profitorientierten Arbeitswelt. Lösungen wurden selten aufgezeigt und wenn, dann fielen sie zu unbestimmt und naiv aus. Wie zum Thema Islam und Muslime in Deutschland in Manuel Mosers geselliger Gesprächsrunde »(I)slam«, wo sich die Lösung in Gesten erschöpfte und den Zuschauer zu sehr in der Komfortzone beließ. 

 

Ganz anders Daniel Schüßler und das Analog-Theater, die ebenfalls in der Studiobühne mit »German Ängst — Angst essen Angst auf« die Auseinandersetzung mit der zurzeit so emsig betriebenen Erzeugung und Instrumentalisierung von Angst in ein verstörendes Theatererlebnis verwandelten. Ein deutsches Trauerspiel, dessen letzter Akt wohl noch aussteht, führte das Kölner nö-theater in der Orangerie auf. In »A wie Aufklärung« werden die skandalösen Versäumnisse und Vertuschungen deutscher Behörden rund um die NSU-Morde und den Prozess in einer glänzend inszenierten Politgroteske aufgegriffen. Kein Wunder, dass angesichts der aktuellen Weltlage auch utopische Gegenentwürfe zum desolaten Ist-Zustand im Theater aufgegriffen werden. Das Theater 51 Grad verwandelte bei dem Theaterabend »Erschöpfte Demokratie« die Räumlichkeiten des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in eine Spielwiese angewandter Utopieforschung. Ein Theaterexperiment, das durchaus erfolgreich dafür Werbung betrieben hat, besser positive als negative Erfahrungen in die Welt zu setzen. 

 

Das scheint auch das Analog-Theater in seiner kommenden Produktion zu beherzigen, die am 6. September in der Studiobühne den Premierenreigen der neuen Saison eröffnet. Der Titel des Stückes »Nur Utopien sind noch realistisch!« stammt aus der Feder des Sozialphilosophen Oskar Negt. Für ihn sind Utopien eigentlich Erkenntnis und Handlungsquelle für Veränderung. Das Stück erzählt eine Heldinnengeschichte darüber, wie man die (eigene) Welt verändern kann, wenn man sich nur traut. Rosi hat einen Traum: Finnland. Rosi ist fast blind und gehbehindert, was sie nicht daran hinderte, mit Anfang 60 für zwei Jahre an den Polarkreis zu ziehen. Jetzt, zehn Jahre später, bleibt diese Sehnsucht nach einer anderen Welt. Mit ihrer Protagonistin begibt sich das Ensemble auf eine Reise. Rosi gibt einen tiefgreifenden und persönlichen Einblick in ihr bewegtes Leben, mit allen Abgründen, Wünschen, Abzweigungen und Problemen, die die Utopie eines Lebens in der bestmöglichen aller Welten unmöglich macht. 

 

Wo Hoffnung gefragt ist, lauert auch Verzweiflung. Eine Art Negativ-Utopie hat der französische Autor Michel Houellebecq in seinem Roman »Unterwerfung« gezeichnet. Houellebecqs zwiespältiger Polit-Thriller ist wohl mittlerweile der meistadaptierte zeitgenössische Roman in der deutschen Theaterlandschaft. Regisseur Heinz Simon Keller startet mit ihm am 8. September in die neue Theater-Saison im Theater der Keller. Für ihn richtet sich die provokante Zukunftsvision nicht gegen den Islam, sondern beschreibt den Kollaps der westlichen Kultur als Folge eines schleichenden Verfalls politischer, wirtschaftlicher und sozialer Werte. Eine Negativ-Utopie vom Ende demokratischer Strukturen und vom Verschwinden der Frau aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen.

 

Ein politisches Phänomen ganz andere Art kommt bei der Inszenierung von Guido Rademacher im Freien Werkstatt Theater zum Vorschein. In seinem Stück »Last Night in Sweden — oder Donald Trump und die Kunst des Wrestling« (Premiere am 14.9.) geht es darum, was passiert, wenn in der Politik die Grenzen zwischen Lüge und Wahrheit ganz offiziell fallen. Der Grenzbereich zwischen Fakten und Fiktion, Dokumentation und Märchen, Realismus und Imagination war bislang Hoheitsgebiet der Kunst und besonders des Theaters. Bis Donald Trump erfolgreich diesen Grenzbereich für sich in Beschlag nahm. Jetzt gilt es für das Theater dagegen zu halten und ein Terrain zu verteidigen, das verlorenzugehen droht.

 

Wie Frau sich als Künstlerin in einer ihr nicht immer wohlgesonnenen Umwelt behauptet, das hat Trude Herr ein Leben lang demonstriert. Das Theater im Bauturm würdigt die herausragende Frauengestalt der jüngeren Kölner Stadtgeschichte mit einem eigenen Theaterstück: »Trude Herr, oder: es ist besser, in der Sahara zu verdursten, als in Köln-Lindenthal zu sitzen und auf die Rente zu warten« feiert am 30. September Premiere. Regisseur Sebastian Kreyer kehrt mit dieser Hommage an die Theaterfrau Trude Herr für ein Gastspiel nach Köln zurück. »Niemals geht man so ganz«, Trude Herrs großer Köln-Song, gilt auch für den Theatermacher Kreyer, der mit seinem Stück an seine erfolgreichen Hommage-Abende in der Reihe »Was vom Tage übrig blieb« anknüpft, die ihm im Erfrischungsraum des Kölner Schauspiels am Opernplatz die ersten Regie-Meriten eintrugen. 

 

 

»Nur Utopien sind noch realistisch!«, 6.(P)–9.9., studiobühneköln, 20 Uhr

 

»Unterwerfung«, 8. (P), 23., 30.9., 22., 28.10., Theater der Keller, 20 Uhr 

 

»Last Night in Sweden — oder Donald Trump und die Kunst des Wrestling«, 14.9. (P), 5., 20., 22.10, FWT, 20 Uhr  

 

»Trude Herr, oder: es ist besser, in der Sahara zu verdursten, als in Köln-Lindenthal zu sitzen und auf die Rente zu warten «, 30.9. (P), 7., 28., 30.10., (20 Uhr), 1.10., 8.10. (15 Uhr), 29.10. (18 Uhr), Theater im Bauturm