Jüngstes Mitglied der linksintellektuellen Boyband Frankreichs: Édouard Louis, Foto: John oley/Opale/StudioX

Die eigene Geschichte schreiben

Édouard Louis erzählt von seiner Vergewaltigung und hinterfragt sich dabei selbst

Am Morgen des 25. Dezember 2012 denkt der französische Schriftsteller Édouard Louis, »dass ich nie wieder die geringste Spur, das geringste Anzeichen oder die Manifestation von etwas würde ertragen können, das wie Glück aussieht.« Am Abend zuvor hatte er, nachdem er mit seinen zwei besten Freunden, dem Autor Didier Eribon und dessen Lebensgefährten, dem Philosophen Geoffroy de Lagasnerie, Weihnachten gefeiert hatte, einen jungen Mann mit nach Hause genommen. Dabei wollte er zunächst gar nicht auf dessen Anmachversuche auf der Straße einsteigen. Doch der attraktive Unbekannte ist beharrlich, Louis ändert seine Meinung und geht mit ihm in seine Wohnung, wo sie einvernehmlichen Sex miteinander haben. Bis die Situation drastisch kippt und der junge Mann, der sich ihm als Reda und Sohn eines kabylischen Einwanderers vorgestellt hatte, Louis vergewaltigt und beinahe umbringt.

 

Édouard Louis ist mit seinem autobiographischen Roman »Das Ende von Eddy« über ein schwules Aufwachsen in der homophoben, rassistischen und bitterarmen Arbeiterklasse Nordfrankreichs zum Shooting-Star der französischen Literaturszene geworden — und hat nach seiner erfolgreichen Flucht in die intellektuelle Pariser Bourgeoisie seinen Geburtsnamen Eddy Bellegueule sofort abgelegt. Zusammen mit seinen Verbündeten Eribon, dessen Student er war, und Lagasnerie bilden die drei eine Art Triumvirat zeitgenössischen linken Denkens in Frankreich, das Erklärungen für den menschenverachtenden Populismus sucht, ohne dabei emanzipatorische Identitätspolitiken zu verabschieden. 

 

Louis’ neues Buch »Im Herzen der Gewalt« schildert in Form eines nacherzählten Dialogs mit der in Nordfrankreich gebliebenen Schwester die verheerenden Folgen seiner Vergewaltigung. Louis’ Autofiktion ist an den Theorien von Pierre Bourdieu und Michel Foucault geschult und stellt sich dabei bravourös einem monströsen Unterfangen: gleichzeitig Homophobie und Rassismus in der Gesellschaft sowie in sich selbst zu analysieren — und durch dieses diskursive Festhalten die Deutungs-hoheit über die eigene Geschichte, die eigene (Un-)Versehrtheit wieder zurückzuerlangen.

 

 

Édouard Louis: »Das Ende der Gewalt«, S. Fischer, 224 S., 20 Euro

 

STADTREVUE PRÄSENTIERT

 

Lesung: Mo 18.9., Institut Français, 19.30 Uhr