Die Pose stimmt: Gemeinsames Lernen an einer Kölner Schule, Foto: Manfred Wegener

Schwimmen am Beckenrand

Köln ist landesweit Spitzenreiter bei der Inklusion. Doch die neue Landesregierung will dafür sorgen, dass dies nicht so bleibt

Kaum einer Politikerin ist im vergangenen Jahr so viel Ablehnung, ja Hass entgegengeschlagen wie Sylvia Löhrmann von den Grünen. Die ehemalige NRW-Schulministerin hat das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung konsequent vorangetrieben — viele sagen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Inklusion wurde zum Reizthema: Die Lehrergewerkschaft GEW berichtete von überforderten Kindern in zu großen Klassen, von Sozialpädagogen, die nur für wenige Stunden pro Woche zu den behinderten Kindern abgeordnet würden, von Frustration allerorten. Die Lage sei katastrophal, hieß es bei Elternverbänden.

 

»Einiges ist nicht gut gelaufen«, sagt auch Eva Thoms, Vorsitzende der Kölner Elternbewegung Mittendrin, die sich für eine Schule für alle einsetzt. Dennoch hält sie die forsche Gangart der vergangenen Jahre für richtig. »Es hätte nie den Punkt gegeben, an dem die Schulen gesagt hätten: Jetzt sind wir bereit für Inklusion. Schwimmen lernt man nicht am Beckenrand.« Sie habe gespürt, wie sich die öffentliche Meinung zur Inklusion gedreht hat. Die Berichterstattung sei einseitig gewesen, über die großen Erfolge, die es auch gegeben habe, habe plötzlich niemand mehr gesprochen. »Dabei haben wir so viel erreicht — gerade in Köln.«

 

Knapp die Hälfte (47,2 Prozent) aller Kölner Kinder mit Förderbedarf besuchte im Schuljahr 2016/17 eine Regelschule — diesen Wert erreicht keine andere Kommune in NRW. Schon seit dem Jahr 2010 können Kölner Eltern ihre Kinder mit Förderbedarf ohne aufwändige Klagen bei einer Regelschule anmelden. Damit hatte Köln eine Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt, lange bevor NRW dies im Jahr 2014 festschrieb. 

 

Zwar sagt dies noch nichts über die Qualität des Gemeinsamen Lernens aus; zudem ist die Inklusion  in der Sekundarstufe noch nicht wirklich angekommen. Auch sind noch nicht alle Eltern über die Rechte ihrer Kinder aufgeklärt. Besonders bei Kindern mit Förderbedarf und ausländischem Pass ist dies ein Problem: Laut aktuellem Kölner Inklusionsbericht besuchen sie deutlich seltener eine Regelschule als ihre deutschen Mitschüler mit Förderbedarf. »Ich habe es oft erlebt, dass Eltern gar nicht bewusst war, dass ihr Kind eine Förderschule besucht«, so Thoms. 

 

Trotz Schwierigkeiten herrscht in Politik und Verwaltung Einigkeit darüber, den 2012 verabschiedeten Inklusionsplan weiter zu verfolgen. Seither sind stadtweit sechs von 23 Förderschulen geschlossen worden. Die Maßnahme geht auf eine Entscheidung Löhrmanns zurück, die die Mindestgröße von Förderschulen heraufsetzte. »Den Kommunen wurde per Erlass deutlich signalisiert: Ihr müsst tätig werden«, sagt Frank Pfeuffer, Leiter der Integrierten Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung der Stadt Köln. 

 

Allerdings hätte man womöglich auch ohne Gesetzesänderung handeln müssen: »Es gilt, mit unseren Lehrerressourcen gut umzugehen, und die Schülerzahlen waren auf den betroffenen Schulen seit Jahren rasant rückläufig.« Zudem habe sich durch einen schulrechtlichen Trick für viele Schüler gar nichts geändert: In den Räumen von drei der geschlossenen Schulen wurde ein zusätzlicher Teil-standort einer anderen Förderschule eingerichtet. So werden in den Bezirken Rodenkirchen und Chorweiler auch heute noch Schüler mit Lernbehinderung im Förderschulsystem unterrichtet. 

 

Weitere Schließungen sind laut Pfeuffer zurzeit nicht geplant, und sie wird es unter der neuen Schulministerin Yvonne Gebauer erst recht nicht geben. Gebauer ist Kölnerin, war lange Ratsmitglied und schulpolitische Sprecherin der FDP. Immer wieder hat sie betont, bei der Inklusion alles anders machen zu wollen als ihre Vorgängerin. Ihre erste Amtshandlung: Ein Moratorium für besagte Mindestgrößenverordnung. Vorerst kann also keine Förderschule zu klein sein. »Frau Gebauer möchte die Inklusion weiter unterstützen und die Förderschulen flächendeckend erhalten. Ob beides dauerhaft geht, wird vom Elternwahlverhalten abhängen«, sagt Frank Pfeuffer. 

 

»So lange der Elternwille es verlangt, wird es noch Förderschulen geben. Aber wir werden nicht auf Dauer zwei Systeme parallel erhalten können«, sagt Franz Philippi, schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rat. Solche Worte hört man in letzter Zeit selten. Zuletzt sprachen nicht einmal mehr die Grünen oder die Linkspartei von einem Aus für die Förderschulen. »Wir als Elternbewegung sind die einzigen, die noch auf dem Boden der UN-Konvention stehen«, sagt Eva Thoms vom Verein Mittendrin. »Die besagt eindeutig, dass ein Parallelsystem nicht erlaubt ist.«

 

Das Recht auf Gemeinsames Lernen kann auch eine FDP-Ministerin den Kindern nicht nehmen. Gymnasien allerdings will sie bei der Inklusion »entlasten«. Kinder mit Behinderung müssen künftig »zielgleich lernen«, also dieselben Lernziele erreichen wie Kinder ohne Behinderung. »Alles rückwärts gewandt«, so Thoms. Dennoch ist sie sich sicher: »Die neue Landesregierung wird den Prozess nicht aufhalten.« 

 

 

Kongress »Eine Schule für alle. Inklusion schaffen wir!«, 8.–10. September, Universität