Turn On, Tune In, Drop Dead

 

Vor fast 20 Jahren läutete James Lavelle mit UNKLE das Ende der TripHop-Ära ein. Ob er nun ein Revival des langsamen Beats lostreten kann, ist fraglich

Eine der schwierigsten Aufgaben im Musikgeschäft ist und bleibt es sicherlich, als Künstler in Würde zu altern. Gerade Musikern, die Teil einer Jugendkultur waren, d.h. durch subkulturelle Zusammenhänge, durch Devianz zur Musik kamen, scheint es häufig schwer zu fallen, die Balance zwischen Selbstzitat und künstlerischer freshness zu behalten. Für James Lavelle gilt es derzeit genau diese Aufgabe zu meistern. 

 

In der englischen Subkultur zwischen Graffiti, Rave, Skating und Breakdance aufgewachsen, wurde Lavelle Anfang der Neunziger mit seinem Label Mo´Wax (und später mit seinem Musikprojekt UNKLE) selbst wichtiger Akteur einer neu entstehenden Jugendkultur. Einer Jugendkultur, die den drogengeschwängerten »Summer of 88« erlebt hatte, die auf dem Board, mit der Sprühdose in der Hand oder auf einem Acker, bewaffnet mit einer PA, die Welt für sich in Beschlag nahm. Und dabei eingefahrene Muster und Dichotomien von öffentlichem und privatem Besitz in Frage stellte. Sampling — also Aneignung und Neukontextualisierung von dem was bereits da war — war die musikalische Waffe.  

 

In England und dem Rest des UKs war die elektronische Tanzmusik dabei ganz anders geartet als die amerikanischen und deutschen Varianten. Von Acid über Rave und UK-Garage bis zu Jungle, ob mit Master of Ceremony oder ohne: die Musik hatte eine typisch britische Prägung. Die Überschneidungen mit HipHop waren fließender, Einflüsse von Ska und Wave prägnanter und jamaikanischer Dub augenfällig grundlegender. Dies ist natürlich alles arg verkürzt und Musikgeschichte im (ungenauen) Zeitraffer. Aber festzuhalten bleibt: Das wahrscheinlich erfolgreichste genuin britische Produkt der britischen Dance-Szene Mitte der 1990er-Jahre kam aus der Küstenstadt Bristol und nannte sich »TripHop«.

 

Als wolle sich die berühmte »Zwanzig-Jahre-Regel« — gerne als Faustformel für das Wiederauftauchen von kulturellen Musik-, Mode- und Lifestyle-Trends verwendet — selbst bestätigen, hörten wir in den letzten Jahren vermehrt Breaks, tauchten wieder Rave, Garage und Jungle auf, die sich langsam aus dem 2000er-Jahre-Hype um (Post-)Dubstep entwickelten. Und nun kommen offensichtlich die Heroen des TripHops wieder: Anzeichen dafür sind etwa Massive Attacks große Welttournee oder neue Veröffentlichungen von Musikern wie DJ Shadow, The Avalanches, Tricky (s. Besprechung in dieser Stadtrevue)  und eben UNKLE.

 

Was erwartet den Hörer 19 Jahre nach dem hochgeschätzten Debüt »Psyence Fiction«, das Kritiker und Hörer gleichermaßen begeisterte und UNKLE für eine Zeit lang als krönenden Szenekonsens gelten ließ? Vornehmlich eine Platte von geringer(er) Bedeutung, die weder durch große Ausreißer nach unten, noch nach oben auffällt. Jedoch keine austauschbare Platte. »The Road Pt.1« ist sehr eigen, verschroben, manchmal rücksichtslos gewalttätig in Ausdruck und Form. Trippiger Elektronica-Rock mit Ex-Screaming-Trees-Frontmann Mark Lanegan, orchestrale Momente, die direkt an Portishead erinnern — das alles wirkt tiefenentspannt und aufreibend zugleich. Und könnte von strahlender Großartigkeit sein. Dieser Eindruck wird aber schnell zerstört, vergleicht man UNKLEs neues Album etwa mit einem musikalischen Bastard vom Schlage der »Post-Minimal-Techno-Music« von Moderat. Und das ist die eigentliche Krux an dem Album: Während sich die Berliner Supergroup und ihre Einzelteile, Modeselektor und Apparat, mit englischer Dance-Music-Tradition tatsächlich auseinandersetzen, TripHop-Zitate einflechten, Thom Yorke von Radiohead engagieren — und eben all das offensichtlich tun, um das England der Neunziger nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, zitiert UNKLE nichts anderes als das eigene Echo aus der Vergangenheit.

 

Umso erstaunlicher, da einige ProduzentInnen in den letzten Jahren bewiesen haben, dass man äußerst produktiv und gekonnt Zitat und Innovation miteinander verknüpfen kann. Seien es Mount Kimbie, deren neues Album in dieser Stadtrevue besprochen wird und auf dem die Neunziger sich gelegentlich durchpausen, oder auch die Berliner Band Bakery. Dazu gesellen sich Veteranen wie Luke Vibert oder Goldie, deren jeweils neueste Alben (»Presents UK Garage Vol. 1« bzw. »The Journey Man«) trotz gelegentlicher Vergangenheitsverklärung wie alternative Geschichtsschreibungen wirken; wie ein »So war es eben nie«.

 

Das alles findet man auf »The Road Pt.1« eher nicht. James Lavelles Album ist eine Ansammlung wilder Ideen und Skizzen, die zwar über Jahre ausgearbeitet wurden und zwischendurch auch Appeal entwickeln, meist aber unzusammenhängend bleiben. Lied folgt auf Lied, während die verbindenden Interludes nicht von der einen (musikalischen) Idee zur nächsten überblenden, sondern unausgegoren und störend wirken. Das mag vielleicht der große Plan dieser Erzählung sein, die auf ihre zweite Inkarnation noch wartet, doch dann ist er vor allem eins: ein mittelmäßiger Plan.

 

Es wäre jedoch vorschnell, darin nur die Unfähigkeit zum würdevollen Altern zu sehen. UNKLE ist kein Projekt Peter Pan’schen (oder Dorian Gray’schen) Ausmaßes. UNKLE litt schlicht immer schon daran, sich selbst zu ernst zu nehmen. Und die Hybris von Lavelle ist trotz oder gerade wegen des Alterns eben nicht kleiner geworden. Dies allerdings ist ein häufiger vorzufindendes Phänomen — bei Männern in ihren Vierzigern.

 

Tonträger: UNKLE, »The Road Pt.1«, ist erschienen auf Songs For The Deaf