Identität: ungeklärt

Das Schauspiel Köln behandelt in der neuen Saison das Thema »Identität«

Das Kölner Schauspiel bietet derzeit ein uneinheitliches Bild. Die Zuschauerzahlen sind gut, in den NRW-Kritikerumfragen des Sommers kommt es dagegen kaum vor. Weltberühmt in Köln — da war der Anspruch an Stefan Bachmann und sein Team eigentlich höher. Als Regisseur ist der Intendant weiterhin an den größten Bühnen des deutschen Sprachraums aktiv — und holt auch in der kommenden Saison eigene Inszenierungen aus Basel und Wien an den Rhein. Doch das Schauspiel selbst wird außerhalb der Stadtgrenzen immer weniger wahrgenommen.

 

Bachmann ist mit einem sehr interessanten Konzept angetreten. Er engagiert nur in begrenztem Maß prominente Gastregisseure, sondern will ein Stadttheater schaffen, das unverwechselbar ist. Kein Durchlauferhitzer für die hoch bezahlten Regiegrößen, die sich nur die Häuser mit entsprechender Finanzausstattung leisten können. Bachmann setzt weiterhin auf sein Team aus Hausregisseuren, auf Rafael Sanchez und Moritz Sostmann, die bisher auf schwankendem Niveau arbeiten. Der Verlust der ebenfalls mit ihm gestarteten Angela Richter ist in diesem Zusammenhang schmerzhaft. 

 

Auch sonst strebt Bachmann nach längerfristigen Beziehungen. Pinar Karabulut arbeitet nach vielen Inszenierungen auf kleineren Spielstätten nun im Depot 1 und inszeniert »Romeo und Julia« (P, 14.10.). Und Nuran David Calis, dessen Rechercheprojekte zu den Highlights der vergangenen Jahre gehörten, bringt  diesmal Philipp Winklers Roman »Hool« (P, 15.12.) auf die Bühne. Da geht es um Jugendliche, die ihr Lebensglück im Draufhauen finden. Auch die wunderbaren Querköpfe des Kollektivs subbotnik kommen zurück und ersinnen einen Abend über Karl Marx mit dem Titel »Wir sind die Affen eines kalten Gottes«.

 

»Identität« ist so ein Thema, das über jedem Theaterspielplan stehen könnte. Weil die Konstruktion des Ichs oder auch multipler Persönlichkeiten ein Kern der Bühnenkunst ist. Die Zusammenstellung der Stücke konkret ist allerdings sehr reizvoll. Stefan Bachmann beginnt mit dem viel gespielten »Peer Gynt« (P, 22.9.) von Henrik Ibsen und scheut dabei nicht den Vergleich mit Karin Beiers Inszenierung vor wenigen Jahren. 

 

Hochinteressant ist ein Stück des Schweizer Dramatikers Lukas Bärfuss, bei dem Rafael Sanchez Regie führt. Im Charakter von »Frau Schmitz« (P, 23.9.) treibt Bärfuss die von Arbeitnehmern geforderte Flexibilität auf die Spitze. Denn die Titelheldin kann ebenso graumausige Dienerin im Hintergrund sein wie sich zum Manne wandeln und knallhart Verhandlungen führen. Aber wer ist Frau Schmitz eigentlich?

 

Viel versprechend klingt auch die Uraufführung »Heimwärts« (P, 9.12.) von Ibrahim Amir. Stefan Bachmann hat diesen Autor entdeckt, es ist schon das dritte Stück, das in Köln läuft. Diesmal geht es um einen todkranken Syrer, der in seiner Heimat sterben möchte. Er reist also den Weg der Flüchtenden in die andere Richtung. Sein Ziel erreicht er nicht, und so sitzen seine Begleiter — sein Neffe, sein Arzt und eine transsexuelle Sanitäterin — mit einer Leiche im türkischen Niemandsland. Und dann herrscht in der Türkei plötzlich der Ausnahmezustand.

 

In vielen Stücken steckt starkes politisches Potenzial. Stefano Massini erzählt in »Occident Express« (P, 7.10.) eine poetische Fluchtgeschichte. Der in Köln lebende Milo Rau wird zwei seiner international gerühmten Stücke als Gastspiele zeigen. Und auch Armin Petras wird die »Weber« (P, 2.2.2018) von Gerhart Hauptmann wahrscheinlich nicht als sozialhistorische Arbeiterstudie inszenieren. 

 

Eine der spannendsten Premieren hat sich das Schauspiel Köln für das Ende der Spielzeit aufgehoben. Kaum ein Theatermacher ist gerade so umstritten wie Ersan Mondtag, der assoziative, krasse Bilderwelten schafft und derzeit in Frankfurt im Museum für moderne Kunst die Ausstellung »I am a problem« inszeniert. Nach Köln kommt er mit der  Uraufführung von Sibylle Bergs »Wonderland Ave.« (P, 8.6.2018). Die Maschinen haben die Macht übernommen und stellen die Frage, wozu ein Mensch eigentlich zu gebrauchen ist. Für die Arbeit ist er zu uneffektiv, nicht einmal auf das für ihn konzipierte Entertainment springt er an. Weil er so eine seltsame Melancholie in sich trägt. Zum Abschluss eines Spielplans zum Thema »Identität« scheint dieses schwarze Science-Fiction-Stück perfekt. 

 

Für die Identität des Ensembles scheint die anscheinend auf zukünftige Generationen verschobene Rückkehr ins Schauspielhaus am Offenbachplatz übrigens keine Rolle zu spielen. »Mülheim ist stolz, das Schauspiel zu beherbergen, und das Schauspiel wiederum hat hier Wurzeln geschlagen«, schreibt Stefan Bachmann im Spielzeitheft. Er macht sich Gedanken darüber, was aus dem Depot werden soll, wenn der Umzug doch irgendwann einmal ansteht. Und plädiert dafür, eine rechtsrheinische Dependance des Schauspiels zu erhalten.

 

Spielzeiteröffnung Schauspiel Köln, 22.9. »Peer Gynt« von Henrik Ibsen in der Regie von Stefan Bachmann, Depot 1