Das Glück des ­Unperfekten

Erik Kessels’ erste Retrospektive in Deutschland

Frauen, die vor Blumen posieren, aufgenommen von Männern, die das für originell halten; heroische, aber vergebliche Versuche, einen schwarzen Hund mit der Polaroid-Kamera zu erfassen: Kessels Fundstücke aus Familienalben oder dem Netz sind nicht nur vergnüglich, sondern stimmen auch nachdenklich, da man stets die Geschichten hinter den Bildern sucht. Ausgestellt ist beispielsweise eine umfangreiche, während des 2. Weltkriegs in Barcelona entstandene Serie eines Zwillingspaars. Junge, fast identisch gekleidete Frauen, die gemeinsam posieren, bis gegen Ende ein Mann zwischen ihnen steht, der auf einem weiteren Bild eine Uniform trägt. Auf den letzten Bildern der Serie ist nur noch eine Frau zu sehen, doch sie steht immer so, als hielte sie intuitiv einen Platz für ihre Schwester frei.

 

Einige wenige Bilder in der Ausstellung sind auch von Kessels selbst. Dazu gehört eine Serie von Bildern seiner Kinder mit Nasenbluten und Schürfwunden, sie gucken trotzig, verheult und manchmal auch stolz in die Kamera. Ihr Vater gehört zu den wenigen, die solche Momente festhalten, sind Familienbilder doch sonst eher auf gespenstische Weise darauf beschränkt, sogenannten glücklichen Momenten Dauer zu verleihen.

 

Nicht nur selbst gefundene und selbst gemachte Bilder, sondern auch Arbeiten von Freunden werden in die Ausstellung integriert. Dazu gehört die Serie »Stop« von Peter Piller, der zwanzig Bilder öffentlicher Schweigeminuten in Deutschland zusammengestellt hat: Fußballer, Polizisten, Büroangestellte und Passanten bemühen sich, kurz nach dem 11. September die richtige Haltung und den richtigen Gesichtsausdruck fürs Gedenken zu finden.

 

Leider werden fehlerhafte Bilder heutzutage mit einem Klick schnell eliminiert. Aber Kessels findet neue Wege: Er hat eine begehbare Installation aus Bildern geschaffen, die er innerhalb von 24 Stunden bei Flickr heruntergeladen und dann ausgedruckt hat. Auf diesen 950 000 Abzügen kann man herumklettern, sie in die Hand nehmen und (wieder einmal) feststellen, welche intimen Aufnahmen mittlerweile öffentlich gemacht werden. 

 

Auch die Ausstellungsbesucher können dem Bilderberg weitere Aufnahmen hinzufügen: es gibt, inspiriert von der Serie »still shooting« einer Holländerin, die von 1936 bis heute jedes Jahr auf der Kirmes ein Bild mit Selbstauslöser schießt, den Nachbau einer solchen Bude. Beim sogenannten Fotoschießen löst der Treffer jedes Schützen die Kamera aus und er erhält ein Polaroid.