Die Stadt als Geliebte

Galata-Stipendiat Gerrit Wustmann über seine widersprüchliche

zweite Heimat und die Kölner Ausstellung Aufwachen in Istanbul

Als ich vor ziemlich genau zwei Jahren in Istanbul in den Flieger zurück nach Köln stieg, ahnte ich nicht, dass es für sehr lange Zeit eine Reise ohne Rückkehr sein würde. Dass ich als deutscher Journalist und Schriftsteller nur wenig später nicht mehr in die Türkei gefahrlos würde einreisen können — unvorstellbar. Sechs Jahre lang war ich immer wieder dort gewesen, Istanbul war zu einer zweiten Heimat geworden. Heute habe ich Angst um Freunde und Kollegen, die jederzeit zu Opfern von Erdogans Willkürsystem werden können.

 

Einen Aufenthalt im Sommer 2012 ermöglichte mir das Galata-Stipendium der Stadt Köln. Mit dessen Unterstützung reisten seit 2009 mehr als zwanzig Kölner Künstler und Autoren an den Bosporus, knüpften Kontakte und gingen deutsch-türkische Kooperationen ein, von denen viele bis heute Bestand haben. Die Stadt Istanbul und die türkische Kultur sind seither in zahlreiche Arbeiten hiesiger Kreativer eingeflossen. Zu meinen Verlegern dort hat sich ein ebenso inniges Verhältnis entwickelt wie zu jenen in Berlin, Hamburg und Bremen. »Du gehörst hier hin«, sagte einmal mein guter Freund und Kollege Alper Canigüz, als wir nahe des Taksim Platzes zusammensaßen und den Möwen und Katzen lauschten.

Istanbul ist eine vielfältige und vielschichtige Kulturmetropole. Ein Leben reicht nicht, um diese Stadt wirklich kennenzulernen. »Eine dunkle Schönheit«, so nannte Doğan Akhanlı sie im Vorwort zu meinem Buch »Istanbul Bootleg«, das in jenen Monaten im Jahr 2012 an meinem Schreibtisch in einer kleinen Gasse nahe des Galata-Turms entstand. Die Stadt als Geliebte, dieses Bild gefällt mir in all seiner Widersprüchlichkeit. Denn es entzieht sich den platten west-östlichen Klischees vom culture clash. Die Türkei, so scheint es, ist für die Deutschen entweder Urlaubsland oder misstrauisch beäugtes islamisches Territorium. »Die Deutschen fahren nach Antalya in die Sonne, interessieren sich aber nicht für türkische Literatur«, sagte mir einmal mein Kölner -Kollege Stefan Weidner und brachte damit das ganze Dilemma auf den Punkt.

 

Dabei sollten wir öfter auf Goethe hören, der sagte: »Wer Bücher liest, schaut in die Welt, und nicht nur bis zum Zaune.« Der Ausspruch prangt auch an einer Wand in der deutsch-türkischen Buchhandlung im Herzen Istanbuls. Die Kölner Stipendiaten haben Gedichte, Romane, Kinderbücher, Fragmente und Tagebücher geschrieben. Sie haben Filme gedreht, fotografiert und sich mit Installationen diesem Blick in die Welt angenähert, ihre Erfahrungen zu ergründen gesucht.

Der Lyriker Stan Lafleur schrieb Gedichte über die Istanbuler Parks, die seit dem Gezi-Aufstand im Sommer 2013 weltweite Bekanntheit erlangt haben. Evamaria Schaller setzte die Hilflosigkeit des einzelnen Menschen angesichts der unkontrollierten Stadtentwicklung in faszinierende Bilder um, während die jungen Protagonisten in den Geschichten von Andrea Karimé sich das vermeintlich Fremde mit einem neugierig-offenen Blick aneignen, der nie verloren gehen darf. Wo Politik und andere Akteure das Trennende propagieren, ist es Aufgabe von Künstlern und überhaupt der Gesellschaft, das Einende zu finden und immer wieder neu zu -entdecken.

 

Der Austausch zwischen den beiden Ländern ist in der heutigen schwierigen Lage wichtiger denn je. Ihn abreißen zu lassen, hieße zu resignieren. Die Ausstellung »Aufwachen in Istanbul«, die gemeinsam mit den »Atelier Galata«-Stipendiaten und dem Kulturamt Köln auf die Beine gestellt wurde, zeigt Arbeiten der Stipendiaten und bringt sie auch mit Gästen aus der Istanbuler Kunstszene ins Gespräch. Unter anderen werden der Autor Alper Canigüz, der Bildende Künstler -Burçak Konukman und der Stadt-forscher Orhan Esen Gäste sein. Die ersten Begegnungen fanden am Bosporus statt, das Wiedersehen am Rhein wird zeigen, welche Intensität dieser Austausch weiterhin hat. Und welche Bedeutung. Nicht nur für Künstler, sondern für jeden von uns.