Fremdgehen

Das theater-51grad.com zeigt Franz Xaver Kroetz’ »Wunschkonzert« in einer Privatwohnung

Treffpunkt ist eine Kneipe am Eigelstein. Einer Reisegruppe nicht unähnlich begibt sich eine 18-köpfige Besucherschar auf Theaterexpedition in eine fremde Wohnung, um ein fremdes Leben zu betrachten. Frau Rasch lebt ­allein, sie ist Mitte 30, erfolgreiche Marketingchefin. Kaum nach Hau­se gekommen, legt sie Stück für Stück ihr gesellschaftliches Selbst ab: die hohen Schuhe, die Ohrringe, die Kostümjacke, den Rock. Die Haare werden geöffnet. Schnell die Blumen locker arrangiert. Feierabend.

Es ist ein »Monolog ohne Worte«, in dem Franz Xaver Kroetz 1973 Alltagsleben eins zu eins für die Bühne verdoppelte. Die Fassung des theater-51grad.com radikalisiert diesen Naturalismus und verlegt das Theater direkt ins Alltagsleben – in eine Kölner Privatwohnung. Die Inszenierung schlägt eine dialektische Volte: Der authentische Spielort weist das Geschehen, mehr als eine Bühne dies vermocht hätte, als Theatervorgang aus. Das Publikum vergisst keine Sekunde lang, dass es Zuschauer, ja Voyeur ist. Dass es eigentlich nicht in dieses Wohnzimmer gehört, und dass alles, was geschieht, nur geschieht, weil es hier sitzt und einer großartigen Marie-Therese Futterknecht dabei zusieht, wie sie die letzte Stunde im Leben ­einer Frau nachempfindet.

Abgründe und Komik des Alltagstrotts

Regisseurin Susanna Enk hat diese Frauenfigur namens Rasch mit Liebe zum Detail und Gespür für die Abgründe einsamer Abende, aber auch für die Komik des Alltagstrotts inszeniert. Marie-Therese Futterknecht legt deren seelische Verfasstheit offen und durchschreitet nahezu alle emotionalen Zustände: von der Ausgelassenheit über die autoerotische Erregung bis zur Verzweiflung, der Einsamkeit und dem Abschied vom Leben.

Sie zelebriert das Abendessen allein an dem großen Tisch, die Zuschauer nur eine Armes­länge entfernt. Knäckebrot. Eine Heißhunger-Attacke auf Schokopudding wird folgen. Dann ein bisschen Sport. Frau Rasch trainiert in der Wohnung und hört dabei Radio – »Wunschkonzert« heißt die Sendung. Der letzte Song ist für sie, doch den hört sie schon nicht mehr. Schlaftabletten hat sie genommen, mit der gleichen Ruhe, mit der sie sich zuvor abgeschminkt hatte. Sie geht so nebenher aus dem Leben, beiläufig fast, als sei jetzt endlich der richtige Moment, eine lang gehegte Idee umzusetzen. Schweigen. Abgang. Etwas stiller als noch eine Stunde zuvor kehrt die Reisegruppe zurück auf die Straße. In das, was ihr eigenes Leben heißt.

»Wunschkonzert« von Franz Xaver Kroetz,
R: Susanna Enk, 23.-25.5., 30.5., 31.5., 20 Uhr,
Spielort: Privatwohnung, Adresse und Karten: 0160/802 09 96