Sehr zum Kohl!

Kohl und Klo — das ist der Geruch der Armut. Der Kohl gilt als Prolet der Gemüseabteilung: derbe, anspruchslos, robust. Entsprechend behandelt man ihn. Er wird zerkocht bis zur Geschmacksvernichtung. Eher akzeptiert man ihn kostümiert, wenn er sich durch Fermentierung verleugnet. Und noch dann zieht man den Kohl als Kimchi dem feineren Sauerkraut vor, das man für typisch deutsch hält, obwohl es aus China stammt.

 


Jetzt haben viele Kohlsorten Saison — meist als Sättigungsbeilage zu Wild- und anderen Fleischgerichten. Danach einen Schnaps! Wie beim Grünkohl — mit Pinkel. Da ist es wieder: der Kohl und das Derbe.

 

Geschmacklich interessiert der Kohl offenbar niemanden. Nur eben diese Deklassierung macht es ja möglich, dass man den Grünkohl als »Superfood« wiederentdeckt — als kale unauffällig untergerührt im Smoothie. Die meisten Kohlsorten werden ohnehin damit beworben, dass sie kaum nach Kohl schmecken. So ziehen viele Menschen dann den Brokkoli dem viel edleren Blumenkohl vor. Dabei stand der einst im Range des Spargels und der Artischocke — heute rangiert er knapp vor der Zuckerrübe. Er wird unter dicken Käsesoßen begraben — mit Parmesan gratiniert ist’s nicht besser! Ähnlich gedankenlos der Umgang mit Spitzkohl, Chinakohl, Weißkohl und Rotkohl, der jetzt ebenso in die Saison geht wie der würzige Herbst-Wirsing.

 

Kohlsorten besitzen dank der Senföle eine einzigartige Qualität: Herbheit. Sie aber ist — gleich der verwandten Bitterkeit — eine Nuance, die nicht dem Mainstream entspricht. Es ist nun an der Zeit, den Kohl endlich so zu nehmen, wie er ist. Ein Kohlkopf kann ein ganzes aromatisches Universum sein! Vom Strunk bis zu den äußeren Blättern begegnet man vielen Ausprägungen. Und auch, ob man ihn kocht, dämpft, brät oder roh zubereitet, weitet die Spanne enorm. Wie groß ist der Unterschied zwischen rohem und gegartem Kohl! Aber die Herbheit des Rosenkohls birgt eine gustatorische Tiefe, die nur zu erkunden ist, wenn man ihn a point zubereitet.

 

Der Kohl ist nicht der Rüpel der Gemüseabteilung, der als pummelige Pups-Pille herumkaspert, sondern Kohl ist sensibel. Und dass der kulinarische Kosmos, den der Kohl gebiert, letztlich immer in einem Furz endet, macht ihn zu einer melancholischen Metapher auf unser Dasein.