Wille zumTräumen

Regisseur Daniel Schüßler gelingt ein bewegender Theaterabend über Sehnsucht

Nein, eine Utopie sei das nicht, sagt Rosi irgendwann im Stück, dafür sei es zu persönlich, eher eine Sehnsucht. Die heißt Finnland und ist für die mittlerweile seh- und gebehinderte 68-jährige Dame aus Düsseldorf auch finanziell in unerreichbare Ferne gerückt. Zehn Jahre zuvor hatte sich die Frührentnerin nach einer kleinen Erbschaft ihren Traum erfüllt und war trotz starker körperliche Einschränkung in den hohen Norden gezogen. Zweieinhalb Jahre hatte sie am Polarkreis gelebt, bis ihr das Geld ausging und sie nach Deutschland zurückkehrte. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach einem anderen Leben in der Ferne. Eine Utopie, die auf der Bühne Gestalt annehmen kann. Mit Rosi, deren Leben die Schauspieler vom Analog-Theater in langen Gesprächen erkundet haben, gehen die vier Akteure auf eine Reise durch ihr bewegtes Leben.

 

Eine Nachkriegsbiographie nimmt in Wort und Spiel Gestalt an. Rosig war Rosis Leben in den seltensten Fällen. Aufgewachsen bei einer lieblosen, alleinerziehenden Mutter, begann ihr eigenes Leben erst, als sie mit 21 Jahren nach Düsseldorf zog, um dort zu arbeiten, später wurde sie selber Mutter. Mit Mitte Dreißig kam dann bereits die Frührente, die Augen, seit frühen Kindertagen ein Problem, machten nicht mehr mit. Rosi begann zu reisen, meist allein. Nichts zu tun, angesichts der Angst um ihr Augenlicht, kam für sie nicht in Frage.

 

Ein fiktives Biopic nennt Regisseur Daniel Schüßler diesen Blick auf ein bundesdeutsches Nachkriegsleben, das er immer wieder nach Rissen und Bruchstellen abklopft, um im Privaten das Gesellschaftliche zu finden. Die Fiktion liefert den Spielraum für assoziative Kapriolen, wenn das Stück von Rosis Urlaubsbekannten Ulrike den Bogen schlägt zu Ulrike Meinhof und deren Appell aufgreift, im Dreiklang aus Protest, Widerstand und Revolte das System zu verändern.

 

»Die Zeit der Barrikaden«, so zitiert das Programmheft den linken Soziologen Oscar Negt, »ist vorbei.« Veränderungsprozesse verlaufen hier in kleinen Schritten, wie Rosi sie macht, wenn sie sich daheim, halbblind und mit Krückstock auf die Straße traut. Das Politische beginnt im Privaten, der Wille zum Träumen ist eine Antwort auf Angst und Agonie. Wenn es dann doch vor lauter Problemen und mangelnder Perspektive eng wird in Rosis Herz, dann macht Schüßler es wie Kaurismäki, um die Schimäre in ihre Schranken zu weisen. Am Ende steht die echte Rosi auf der Bühne, in einer finnischen Winterlandschaft, ein bewegender Moment von zärtlicher Schönheit.