Protoyp des Niedergangs

Marc Fischer kämpft sich durch den grantig-­obszönen Monolog aus Houellebecqs Science-Fiction-Reißer Unterwerfung

Einsamkeit, Sex und Mitleid. So lässt sich, frei nach Helmut Krausser, das triste Dasein des Pariser Mittvierziger François beschreiben. Marc Fischer spielt diesen Prototypen des Niedergangs des Abendlandes als Schelm, der mit resignativem Gestus schonungslos aber auch mit einer gewissen Arroganz über seine und die politische Krise Frankreichs im Jahre 2022 spricht. Zum Sinnbild seiner eigenen Leere werden die fünf Elemente eines Bücherregals, in dem gerade ein einziges Buch zu finden ist.

 

Eine eigene politische Haltung sucht man bei ihm vergebens: »Ich bin so politisiert wie ein Handtuch.« So schauen und hören wir diesem François zu, wie er wortgewandt und lakonisch die Lage schildert: Die »Bruderschaft der Muslime«, eine gemäßigt-muslimische Partei, übernimmt unter Mitwirkung und Duldung der etablierten Parteien die Regierungsmacht in Frankreich, um Marine Le Pen und den zur stärksten Partei angewachsenen Front National von der Macht fernzuhalten.

 

Die Hochschule, an der François als Literaturwissenschaftler lehrt, wird künftig von saudischen Geldgebern finanziert und duldet nur noch Dozenten, die sich zum islamischen Glauben bekennen. In den Tagen vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang kommt es in Frankreich zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und rechtsnationalistischen Identitären. François verlässt fluchtartig Paris, um in der Einsamkeit eines Klosters zu sich und seinen akademischen Ursprüngen zurückzufinden. Allerdings scheitert das Experiment, sich als Eremit der Wissenschaft neu zu entdecken, kläglich.

 

Mit Bravour meistert Marc Fischer die schauspielerische Tour de Force, das von Regisseur Heinz Simon Keller auf 110 Theaterminuten zusammengekürzte Textkonvolut dem Zuschauer nahe zu bringen. Gewisse Ermüdungserscheinungen stellen sich trotzdem ein. Zu nebulös bleibt der Hintergrund, vor dem sich François’ geistige Stagnation abspielt, kaum wahrnehmbar sind die Entwicklungen seines Psychogramms. Erst gegen Ende werden die politischen Positionen schärfer gestellt, wenn mit dem identitären Hochschulleiter Robert Rediger (Josef Tratnik) eine weitere Person die Bühne betritt. Im Dialog der beiden opportunistischen Akademiker zeigt sich, wie deckungsgleich Positionen der nationalistischen Rechten und der Islamisten sind. »Transzendenz ist ein selektiver Fortpflanzungsvorteil«, erklärt Rediger und belegt, dass die Krise des Systems bei Houellebecq zuvorderst eine Krise des Glaubens und der Geschlechterkonflikte ist.