Foto: Manfred Wegener

Nicht alle trauen sich

Mit der »Ehe für alle« ist Ende Juni im -Bundestag eine zentrale Forderung von Schwulen und Lesben erfüllt worden. Braucht es jetzt überhaupt noch den Christopher Street Day?

 

 

 

Die Kölner Parade des Christopher Street Day (CSD) gehört zu den größten politischen Demonstrationen der Bundes-republik. Die zentrale Forderung der Veranstaltung am ersten Sonntag im Juli war jahrzehntelang die »Ehe für alle«. Wenn ab diesem Monat Schwule und Lesben als -Ehepaare aus dem Historischen Rathaus treten, gibt es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik rechtlich so gut wie keine Unterschiede mehr zwischen homo- und heterosexuellen Paaren.

 

Und nun? Braucht es noch einen CSD?

 

»Ja«, sagt die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie hatte angesichts einer in letzter Minute abgewendeten Insolvenz des Veranstalters im Frühjahr städtische Unterstützung angekündigt. »Auch wenn wir den CSD in Köln in diesem Jahr bereits zum 26. Mal gefeiert haben, ist die Idee so aktuell wie eh und je«, so Reker. Der CSD verbinde auf einzigartige Weise den Einsatz für Gleichberechtigung der LGBTI-Community mit dem bunten Programm beim Cologne Pride und gebe so wichtige Anstöße für die Gesellschaft. »Deshalb ist der CSD für mich weiterhin eine der herausragenden Veranstaltungen in unserer Stadt.«

 

Ina Wolf ist Vorstandsmitglied des CSD-Veranstalters »Kölner Lesben- und Schwulentag« (KLuST) und unter anderem zuständig für »Women Pride« und Pressearbeit. Wolf betont zunächst die Bedeutung der Gesetzesänderung für viele Betroffene. »Wer die Stimmung hier auf der spontanen Party auf der Schaafenstraße nach dem Beschluss des Bundestages erlebt hat, konnte fühlen, was das für einen großen Teil der Community bedeutet hat.« Doch auch wenn die Freude groß war, so Wolf, sei die »Ehe für alle« nicht unbedingt das Ziel aller gewesen. »Für viele bedeutete die Konzentration auf dieses eine Ziel auch eine Anpassung an heteronormative Vorgaben«, so Wolf. »Die würden die Ehe lieber ganz abschaffen.« Die Parade und das Straßenfest seien aber trotz der anhaltenden Vorwürfe von Kommerzialisierung und Mainstream eine wichtige Konstante. Ina Wolf verweist auf eine weitere Zielgruppe, die der Veranstalter im Auge behalten müsse: »Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in den deutschen Metropolen unter absoluten Luxusbedingungen leben. In der Fläche wird es vermutlich noch Jahrzehnte dauern, bis wir vollständig akzeptiert sind.« Für viele Besucherinnen und Besucher aus dem Umland sei der Cologne Pride der einzige Moment, in dem sie das Gefühl hätten, Teil eines -großen Ganzen zu sein, sagt Wolf.

 

»Natürlich geht es auch um Sichtbarkeit von Schwulen, Lesben, Trans, Inter, Bi und wie sie alle heißen«, sagt Jonathan Briefs, Initiator, Organisator und Moderator vieler Veranstaltungen und Workshops für die Community. »Und natürlich gibt es Menschen, die diese Erfahrung als Energiespende für den Rest des Jahres mitnehmen. Aber könnte das nicht auch ohne Werbung für Möbelhäuser und Fluglinien passieren?« Mit Veranstaltungen wie Pride Salon, Pride Sofa und Pride Denkwerkstatt beschäftigt sich Jonathan Briefs seit Jahren damit, wie man neue Ideen entwickeln, diskutieren und umsetzen kann. »Die Frage lautet nicht: Brauchen wir den CSD noch? Die Frage lautet vielmehr: Brauchen wir so einen CSD noch?«, sagt er. Nach der vorübergehenden Insolvenz des Veranstalters Anfang des Jahres habe man im sogenannten Community-Bündnis zur Rettung der Veranstaltung aus der Not heraus mit dem Gedanken gespielt, den CSD einfach nicht stattfinden zu lassen. »Wenn man darüber aber laut nachdenkt, bekommt man immer wieder dieselben Argumente vor-gehalten«, so Briefs. »Was ist mit der öffentlichen Ordnung, wenn hier Tausende Schwule und Lesben ohne vorgegebenen Paradeweg durch die Stadt marodieren? Was ist mit den Mindereinnahmen von Hotels und Kneipen? Und was ist eben mit den jungen Leuten vom Land, die diesem Tag so sehr entgegenfiebern?« Davon, wie ein anderer CSD aussehen könnte, hat Briefs klare Vorstellung.  Man müsse das Rad nicht immer neu erfinden, sagt er. »Ich würde mir sehr wünschen, dass uns das gelingt, was zum Beispiel hier beim Tag des Guten Lebens gelingt: eine Art Festival, ein Podium, ein Raum für Ideen und letztendlich der Abbau von Vorurteilen durch Begegnung.«

 

Dass bereits neue Wege beschritten werden, beweisen Formate wie der »Dyke March Cologne«, eine Veranstaltung für »Lesben, queere Frauen*, frauenlieben-de Frauen* und genderqueere Lesben«. Vor vier Jahren wurde der Marsch erstmals organisiert, mit dem Ziel, der männlich-schwulen Dominanz der offiziellen Sonntagsparade etwas entgegenzusetzen. 1500 Teilnehmer*innen zählte die erste Veranstaltung, in diesem Jahr gingen rund 3000 Frauen auf die Straße. Der Dyke March sei keine Konkurrenz zum Cologne Pride, sondern eine Ergänzung, betonen die Initiatorinnen und Organisatorinnen Maren Wuch und Inge Linne. »Unsere Hauptaktvität ist der Demo-Zug am Vorabend des CSD, außerdem veranstalten wir Meet-ups zu verschiedenen Fragen und sind in vielen Gremien der Community und der Stadt vertreten«, sagt Wuch. Der Dyke March versteht sich als Plattform abseits von Kommerz und Party-Tourismus. »Wir sind eine Interessensgemeinschaft«, sagt Linne. »Ein Verein wäre keine passende Struktur für uns, wir wollen uns nicht an Statuten aufreiben, sondern ergänzen uns vielmehr mit unseren Fähigkeiten.« Das ist vielleicht ein zukunftsweisendes Modell, bei dem Emanzipationsarbeit und Party sich nicht ausschließen. »Natürlich brauchen wir den ColognePride«, so die beiden Aktivistinnen. »Als Plattform, um Flagge zu zeigen und um sichtbar zu sein.«

 

Alle sagen, dass die »Ehe für alle« eben nicht sofort auch Gleichberechtigung und Respekt im Alltag bedeute. So sieht es auch OB Henriette Reker. Mit dem Beschluss des Bundestags sei zwar eine wichtige Forderung der vergangene Jahre erfüllt worden. »Doch der Kampf gegen Benach-teiligung und Diskriminierung, Homophobie, Sexismus und Rassismus ist damit noch lange nicht erledigt.« Und Ina Wolf vom KLuST sagt: »Wir sind ja nicht nur Organi-sator des ColognePride, sondern wir sind ein Verein für Menschenrechte. Die Öffnung der Ehe bedeutet noch lange nicht das Ende unserer Forderungen!« Oben auf der Agenda stünden nun etwa die Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes um das Merkmal »sexuelle Orientierung«, aber auch die Rechte von trans*- und intersexuellen Menschen. 

 

Die »Ehe für alle« ändere in vielen Situationen gar nichts, finden auch Maren Wuch und Inge Linne vom Dyke March Cologne. Es gebe Lesben, die ihre Partnerin vielleicht gern heiraten würden, sich aber nicht trauten, weil sie fürch-teten, von ihrer Arbeitgeberin, der katholischen Kirche, entlassen zu werden. Darüber hinaus gebe es die Diskriminierung lesbischer Frauen im Abstammungsrecht, ein Thema, das in den Medien untergehe, sagen Wuch und Linne. »Und für all das brauchen wir weiterhin den CSD.«